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»Kuba ist Opfer des Staatsterrorismus«

Internationales Tribunal gegen die US-Blockade Kubas in Brüssel geplant. Ein Gespräch mit Déborah Azcuy Carrillo.

Déborah Azcuy Carrillo
Déborah Azcuy Carrillo arbeitet beim Institut für Völkerfreundschaft (ICAP) in Kuba und war am Donnerstag zu Besuch in der jungen Welt (Berlin, 12.10.2023)

Die US-Blockade gegen Kuba hat Sie während Ihres gesamten bisherigen Leben begleitet. Wie ist die derzeitige Situation im Vergleich zu früheren Jahren?

Die Blockadepolitik der USA führt ins Jahr 1962 zurück. Seit der Regierung von Donald Trump wurden 243 zusätzliche Maßnahmen der Verschärfung gebilligt. Einen Monat, bevor er sein Amt abgab, hat er Kuba auf die Liste der staatlichen Sponsoren des Terrorismus gesetzt, was eine zusätzliche Intensivierung der Blockade bedeutet und es Kuba nochmals erschwert, Kredite aufzunehmen. Es heißt, die Blockadepolitik der USA koste Kuba täglich fünf Millionen US-Dollar. Da stellt sich uns natürlich die Frage: Was könnte Kuba alles entwickeln, wenn es die Blockade nicht gäbe? Für die Projekte, beispielsweise im Gesundheitswesen oder in der Solidarität mit über 150 Ländern, auch durch die Anwesenheit der kubanischen Ärztinnen und Ärzten und in Zusammenarbeit mit dem globalen Süden. Die Blockadepolitik der USA ist nicht bilateral. Sie hat einen extraterritorialen Charakter. Besonders das Helms-Burton-Gesetz, das 1996 verabschiedet worden ist, untersagt Dritten, Handel mit Kuba zu treiben. Dessen Titel III wird seit 2019 angewandt und ermöglicht die Einleitung von Gerichtsverfahren vor US-Gerichten gegen Unternehmen und Einzelpersonen, die mit den in Kuba nach dem Sieg der Revolution im Jahr 1959 verstaatlichten Betrieben handeln oder verhandeln. Im Jahr 2022 sind auf dieser Grundlage Prozesse gegen 33 Konzerne und Banken eröffnet worden.

Treffen wie das der Gruppe der 77 plus China im September in Havanna werden hierzulande medial totgeschwiegen. Wie ist es möglich, dass Kuba trotz der durch die Sanktionen verursachten wirtschaftlichen Probleme in anderen Ländern internationalistische Hilfe leistet?

Kuba existiert, weil sein Schwerpunkt die Solidarität ist. Da Kuba solidarisch ist, ist die Welt solidarisch mit Kuba. Das G77-plus-China-Treffen war ein Beispiel dafür. 133 Länder, in denen 80 Prozent der Weltbevölkerung leben, waren präsent in Kuba. Trotz des ausgeübten Druckes seitens der USA, sich nicht am Gipfel zu beteiligen. Wir sprechen von 133 Ländern, deren Repräsentanten dort anwesend waren und auch von Vertretern multilateraler Organisationen, wie der UNO, der UNESCO und vielen anderen. Das zeigt, dass Kuba nicht isoliert ist, sondern dass der Charakter des kubanischen Projektes, der kubanische Sozialismus, zur Zusammenarbeit einlädt.

Das hängt auch damit zusammen, dass Kuba seit dem Beginn der Revolution 1959 immer solidarisch war. 1963 hat Kuba die erste Ärztebrigade nach Algerien geschickt. Für die Bekämpfung der Coronapandemie schickte Kuba Ärztinnen und Ärzte in viele Länder, auch in Staaten der Europäischen Union, wie Italien oder Andorra. Das zeigt, dass es in diesem Sinne eine Veränderung bezüglich Multilateralismus gibt. Für Kuba ist internationale Solidarität das Konzept seiner Außenpolitik.

Alle Jahre wieder: Am 1. November findet in der Vollversammlung der Vereinten Nationen die nächste Debatte zum jährlichen Antrag Kubas statt, mit dem die USA aufgefordert werden, die Blockade zu beenden. Am 2. November erfolgt dann die Abstimmung. Was erwarten Sie davon?

Sehr positiv ist, dass die Welt sich immer mehr zum Multilateralismus entwickelt, auch wenn das leider so nicht berichtet wird in den USA. In diesem Jahr wird Kuba zum 31. Mal die Resolution zur Verurteilung der Wirtschafts-, Finanz- und Handelsblockade der USA vor der UN-Vollversammlung vorbringen. Denn die Blockade ist eine Völkerrechtsverletzung.

Kuba leistet wertvolle Beiträge und teilt sein Know-how, unter anderem in den Bereichen der internationalen Zusammenarbeit und in Entwicklungsprojekten bei Themen wie erneuerbaren Energieträgern oder auch bezüglich der Ernährungssicherheit. Auch progressive Projekte, wie das im vergangenen Jahr verabschiedete Familiengesetz, haben Vorbildcharakter für viele Staaten. Es gibt unzählige Möglichkeiten, die Erfahrungen Kubas zur Verfügung zu stellen und eine überwiegende Mehrheit der Bevölkerung der Welt, die sie annehmen möchte. G77 plus China machen nämlich über 80 Prozent der Weltbevölkerung aus.

Derzeit läuft weltweit eine Kampagne für eine Million Unterschriften, um die US-Regierung aufzufordern, Kuba von der Liste der staatlichen Sponsoren des Terrorismus zu streichen und die Blockade bedingungslos aufzuheben. Wie zeigt sich der sogenannte kubanische Terrorismus?

Kuba wurde im Jahre 2021 von der Trump-Regierung in die Liste der staatlichen "Sponsoren" des Terrorismus aufgenommen. Aber Kuba ist kein Terrorstaat, Kuba ist Opfer des Staatsterrorismus. Wir hatten vor kurzem den Fall, dass die kubanischen Botschaft in Washington mit Molotowcocktails beworfen wurde. Die US-Regierung hat sich dazu nicht klar geäußert. Das zeigt, dass sie Befürworterin des Staatsterrorismus gegenüber Kuba ist. Die Geschichte der Kubanischen Revolution als Opfer des Terrorismus ist sehr lang, und der ist nicht nur ein Thema des Kalten Krieges, sondern auch heute eine gängige Praxis. Die US-Regierung versucht immer zu definieren, wer Terrorist ist und wer nicht. In diesem Sinne ist Kuba für sie natürlich ein terroristisches Land, weil es sich für den Multilateralismus einsetzt.

Die Blockade und die von Washington verhängten extraterritorialen Maßnahmen beeinträchtigen auch die Wirtschaft und die Bürger der europäischen Länder. Deshalb und aus Solidarität mit Kuba organisieren Gewerkschaften, politische Parteien, Juristenvereinigungen, Geschäftsleute, Wissenschaftler und Freunde Kubas am 16. und 17. November 2023 in Brüssel ein internationales Tribunal gegen die Blockade. Was erhoffen Sie sich von dem Tribunal?

Die Initiative für das Tribunal ist von mehreren juristischen Organisationen ergriffen worden, die nicht akzeptieren können, dass sich die Welt im 21. Jahrhundert nach dem Konzept und nach den Vorschriften der USA richten sollte. Sowohl bezüglich bilateraler als auch multilateraler Beziehungen. Dieses Tribunal wird von renommierten Richtern, Staatsanwälten, europäischen Experten, aber auch US-amerikanischen Fachleuten durchgeführt werden, die sich zusammentun.

Der extraterritoriale Charakter des Helms-Burton-Gesetzes nimmt der Europäischen Union die Möglichkeit, mit Kuba Handel zu treiben und Entwicklungsprojekte im Rahmen des gegenseitigen Respekts voranzutreiben. Das betrifft ebenfalls Projekte mit anderen Ländern des globalen Südens, bei denen Kuba involviert ist. Das Teilen von kubanischem Wissen und Know-how wird bedroht, auch das soll während des Tribunals thematisiert werden. Es ist eine sehr wichtige Initiative, denn sie bringt ans Licht, welche Rechte der europäischen Bürgerinnen und Bürger beeinträchtigt und verletzt werden durch die Blockade: unter anderem das Recht auf Handel.

Kuba ist sehr dankbar dafür, dass so viele Juristinnen und Juristen, Expertinnen und Experten für internationalen öffentlichen und privaten Handel und Vertragsrecht und auch Spezialisten für Völkerrecht sich zusammentun in Brüssel. Sie wollen nicht nur ein Ende der Blockade verlangen, sondern auch gemeinsam Strategien entwickeln, wie man sie umgehen kann.

Sie sind jetzt seit mehreren Tagen in der BRD unterwegs. Was würden Sie kubanischen Jugendlichen entgegnen, die vom Auswandern in imperialistische Staaten träumen?

Migration existiert, seitdem es Staaten gibt. Im Falle Kubas wird das gerne politisiert. Die Verschärfung der Blockade hat dazu geführt, dass Kuba sich gegenwärtig in einer Migrationswelle von Jugendlichen befindet, die die Insel aus wirtschaftlichen Gründen verlassen wollen. Ich würde den Jugendlichen raten, sich nicht von ihren Wurzeln – der Geschichte Kubas – zu trennen. Sie erträumen sich einen Austausch, den es so leider nicht gibt, denn ein Prozent der Weltbevölkerung verfügt über die Reichtümer der Mehrheit der Bevölkerung. Worin würde der Unterschied bestehen zwischen kubanischen Jugendlichen und Jugendlichen aus anderen Ländern, wenn sie emigrieren? Das Wichtigste ist meiner Ansicht nach, dass die Jugendlichen auch merken, dass die Würde, die sie haben, und die hohe Selbstbewusstsein Resultate der Kubanischen Revolution sind.

Déborah Azcuy Carrillo arbeitet beim Institut für Völkerfreundschaft (ICAP) in Kuba.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

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Annuschka Eckhardt
junge Welt, 17.10.2023