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Wo Fidel recht hatte

Wahrhaftigkeit im Irrtum: Hans Modrow zum 95. Geburtstag.

Der oft inflationär verwendete Begriff vom »politischen Urgestein« trifft derzeit auf kaum eine Person der deutschen Politik zu. Für Hans Modrow, den letzten von der Volkskammer gewählten Ministerpräsidenten der DDR, ist das Attribut gerechtfertigt. Allerdings wird damit nicht annähernd die Bedeutung, der historische Erfahrungsschatz und das teilweise auch widersprüchliche Wirken eines Vollblutpolitikers beschrieben, der nach dem Ende der DDR unter anderem als Abgeordneter des Deutschen Bundestages, des Europaparlaments und langjähriger Vorsitzender des Ältestenrats der Partei Die Linke aktiv blieb. Hans Modrow ist jemand, der sich und seiner Überzeugung, trotz mancher Irrtümer und Fehlentscheidungen, treu geblieben ist. Im selben Jahr geboren wie Ernesto Che Guevara, begeht er am Freitag seinen 95. Geburtstag.

Die Augen geöffnet

2014 konnte ich Hans Modrow in Havanna interviewen, als er dem Institut für Völkerfreundschaft den Nachlass von Ches Kampfgefährtin Tamara Bunke übergab, und erkannte dabei, dass er wohl der deutsche Politiker mit den längsten und umfangreichsten Kuba-Erfahrungen ist. Während die BRD 1963 die diplomatischen Beziehungen zum sozialistischen Karibikstaat abgebrochen hatte, vertrat Modrow die DDR 1970 auf der Kundgebung zum Nationalfeiertag am 26. Juli in Havanna. Seitdem ist er als DDR-Politiker immer wieder auf die Insel gereist und initiierte später als Bundestags- und Europaabgeordneter zahlreiche Unterstützungskampagnen. Im Oktober 1993 lud Fidel Castro ihn zu einem langen nächtlichen Gespräch über den Niedergang der sozialistischen Staaten Osteuropas und der Sowjetunion ein. 2019 wurde Hans Modrow mit dem Orden der Solidarität der Republik Kuba ausgezeichnet.

Neben dem kubanischen ist Modrow seit seiner Jugend vor allem dem russischen Volk verbunden. Am 27. Januar 1928 in dem nördlich vom damaligen Stettin gelegenen Ort Jasenitz geboren, »war ich am Tag der Befreiung vom Faschismus, dem 8. Mai 1945, noch von der braunen Demagogie infiziert«, erinnerte er sich. In sowjetischer Gefangenschaft begann er die Nazipropaganda, die Russen als blutrünstige »Untermenschen« dargestellt und den Krieg gegen die Sowjetunion verherrlicht hatte, zu durchschauen. Es habe ihn nachdenklich gemacht, dass Wehrmachtsoffiziere den jungen Mitgefangenen weiter vorschreiben wollten, was sie zu denken und zu tun hätten. »Selbst im gleichen Schicksal waren wir nicht gleich. Die wollten immer noch die Herren spielen. Die Rotarmisten gingen menschlicher mit uns um als die vermeintlichen eigenen Kameraden«, sagte er.

Zur Entwicklung seines politischen Bewusstseins trugen weitere spätere Eindrücke bei. Einer davon war, dass er bei Besuchen in Westberlin registrierte, wie dort an Kiosken »Landser-Hefte« aushingen, die wieder ganz offen Krieg und Gewalt propagierten, während in der DDR antifaschistische Autorinnen und Autoren wie Anna Seghers für den Frieden warben. Als Konsequenz solcher Erfahrungen schloss sich der gelernte Maschinenschlosser der FDJ an und wurde später Mitglied des FDGB und der SED. Modrow besuchte die Komsomol-Hochschule in Moskau, schloss ein Fernstudium an der Karl-Marx-Hochschule der SED mit dem Diplom in Marxismus-Leninismus ab und promovierte nach einem weiteren Studium an der Humboldt-Universität 1966 zum Doktor der Wirtschaftswissenschaften. Seit 1958 war Modrow Abgeordneter der Volkskammer. In der SED wurde er zunächst Sekretär der Bezirksleitung Berlin, später Abteilungsleiter im Zentralkomitee und Erster Sekretär der Bezirksleitung Dresden.

Einen seiner fatalsten Irrtümer gesteht Modrow selbstkritisch ein. Anders als Castro, der Michail Gorbatschow frühzeitig durchschaute und vor der Perestroika als den »Prinzipien des Sozialismus entgegengesetzt« warnte, hatte Modrow sich im letzten Staatspräsidenten der Sowjetunion zunächst getäuscht. »Aber nach dem, was mir heute bekannt ist, bin ich mit nichts von dem einverstanden, was Gorbatschow in die Wege geleitet hat, denn alles war von Anfang an auf Täuschung angelegt«, korrigierte er später seinen Irrtum. Zwar steht er zu seiner Entscheidung, die in der DDR-Verfassung definierte sozialistische Gesellschaftsordnung nicht mit der Armee verteidigt zu haben, erklärte aber auch: »Welche Urteile es auch immer über den realen Sozialismus gibt, er hat den brutalsten Formen kapitalistischer Ausbeutung und imperialistischer Kriege Grenzen gesetzt.«

Auf Distanz

Nach dem Anschluss erlitt Modrow das Schicksal vieler DDR-Politiker, die sich nicht opportunistisch gewendet hatten: Verfolgung, Anklage und Strafrente. Er erfuhr, dass er sechs Jahrzehnte lang vom Bundesnachrichtendienst und vom Verfassungsschutz ausspioniert worden war. Eine vollständige Akteneinsicht wird ihm jedoch verweigert. Als Modrow am 23. Februar vorigen Jahres zum »Tag des Vaterlandsverteidigers« am Sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Tiergarten die bei der Befreiung Europas gefallenen Rotarmisten mit einem Blumengebinde ehrte, reagierten russophobe Politiker und Medien mit einer Hetzkampagne. Mit dem unwürdigen Akt der Neuberufung des Ältestenrats ging auch die Spitze der Partei Die Linke auf Distanz zu ihrem unbequemen, aber stets loyalen langjährigen Mitglied. Hans Modrow parierte die Attacken mit einem Zitat: »Sagen, was ist – Rosa Luxemburgs Aufforderung zu Realismus und Wahrhaftigkeit hat mich in meiner politischen Tätigkeit immer geleitet.«

Anstelle von Glückwunschanzeigen und Geschenken zum 95. Geburtstag bittet Hans Modrow um Spenden für die Schule »Tamara Bunke« in Mayabeque (Kuba) – Spendenkonto: Evelin Nowitzki, IBAN: DE03 1005 0000 1073 0478 53, Kennwort: Hans.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

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Volker Hermsdorf
junge Welt, 27.01.2023