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Gibt Havanna den Sozialismus auf?

Der 6. Parteitag der KP Kubas nimmt wichtige Weichenstellungen vor.

Am 18. Dezember erklärte Präsident Raúl Castro vor Kubas Nationalversammlung: "Der Plan und das Budget sind heilig."

Der von Havanna in Angriff genommene Umbau der sozialistischen Gesellschaft irritiert Freunde und Feinde des seit einem halben Jahrhundert der imperialistischen Blockade trotzenden Karibikstaates.
Während dessen Gegner modifizierte Methoden ökonomischer Strangulierung und ideologischer Diversion in Erwägung ziehen, sprechen Dogmatiker von einer "Preisgabe aller Prinzipien des Sozialismus". Doch nicht nur sie befürchten eine Anpassung an den Kapitalismus. Auch nicht wenige gestandene Freunde Kubas in aller Welt halten den Atem an und verfolgen das Geschehen dort in einer Mischung aus gedämpftem Optimismus, Sorge und Vertrauen.

Um was geht es tatsächlich? Der kubanische Sozialismus gibt nicht sein Wesen auf, ändert aber sein Gesicht. Während die marxistischen Inhalte Bestand haben sollen, sucht die Führung der KP Kubas (PCC) nach neuen Wegen, Formen und Methoden.

Im November 2010 veröffentlichte die Wirtschaftskommission beim ZK der PCC, die zuvor in elf Arbeitsgruppen die reale Situation im Lande gründlich analysiert hatte, ein Dokument unter der Bezeichnung "Entwurf ökonomischer und sozialer Leitlinien für die Partei und die Revolution".

Der im April nach einem relativ langen Zeitraum diesbezüglicher Enthaltsamkeit zusammentretende 6. Parteitag der PCC soll die Weichen stellen. Es herrscht ohne Zweifel unaufschiebbarer Handlungsbedarf. Kuba steht unter enormem Druck der trotz leichter kosmetischer Operationen aufrechterhaltenen Blockade und heftiger Auswirkungen der globalen Wirtschaftskrise. Das drastische Anziehen der Preise für überwiegend zu importierende Nahrungsmittel bei gleichzeitigen Einbrüchen der eigenen Exporterlöse und einem spürbaren Rückgang der Touristenzahlen wirken sich ebenso aus wie nicht länger zu tolerierende innere Mißstände. Dazu gehört vor allem die äußerst unergiebige Agrarproduktion. Internationale Geldhäuser gewähren dem Inselstaat auf USA-"Anraten" nur unter härtesten Konditionen dringend benötigte Kredite. Hinzu kommen die noch nicht überwundenen Auswirkungen er verheerenden Wirbelstürme des Jahres 2008, welche Schäden in Höhe von 10 Mrd. Dollar verursachten.

Finanzministerin Lina Pedreza unterbreitete den Kubanern eine ernüchternde Bilanz: Nur 55% der im neuen Budget vorgesehenen ausgaben sind durch Einnahmen aus den staatlichen Unternehmen und Projekten abgesichert. Der neue Kurs der PCC auf abgestimmte Veränderungen in der kubanischen Wirtschafts- und Sozialstruktur wurde bereits 2007 eingeleitet.

Ein Jahr später gab man den Verkauf von Computern und anderer Kommunikationsausrüstung frei. Zugleich gestattete Havanna allen Kubanern den Zugang zu bisher nur Touristen vorbehaltenen Objekten. Der Direktverkauf von Nahrungsgütern aus eigener Erzeugung wurde ebenso in Angriff genommen wie eine Landnutzungsreform für Interessierte, um wenigsten einen Teil der brachliegenden Flächen intensiverer Bewirtschaftung zuzuführen.

Schon 2009 veranlaßte die Regierung erhebliche Budgetveränderungen, die Einschränkungen bei Importen, eine exakte wirtschaftliche Rechnungsführung sowie den Abbau von Subventionen und kostenlosen Dienstleistungen zum Ziel hatten.

2010 erleichterte man den Bau von Eigenheimen, gestattete private Reparaturleistungen und ließ Handwerksbetriebe in eigener Regie sowie kleine Geschäfte zu. Kubanern, die Objekte für den Tourismus schaffen wollen, räumte Havanna langfristige Bodennutzungsrechte ein. Besonders einschneidend waren die Beschlüsse zur Überwindung der sozial motivierten, während der "Sonderperiode" eingeführten Doppel- und Mehrfachbesetzung von Arbeitsplätzen. Eine halbe Million Staatsangestellte wurden binnen sechs Monaten von den Gehaltslisten gestrichen. Zahlreichen kleinen Privatfirmen gestattete man, selbst Arbeitskräfte einzustellen.

Im Mittelpunkt der Beschlußfassung des 6. Parteitages werden ökonomische Prioritäten, die internationale Zusammenarbeit, die Umweltverträglichkeit zu ergreifende Maßnahmen und vor allem die Trennung kurz- und langfristiger Ziele stehen.

In der Debatte dürften auch Themen wie Selbstkritik, Dezentralisierung, Setzung klarer Prioritäten, Umverteilung des Wohlstandes durch gerechte Besteuerung von Einkünften und höhere Effizienz eine wesentliche Rolle spielen.

In der Zeitung "Juventud Rebelde" nahm der bekannte kubanische Ökonom Joaquim Infante zum bisher bevorzugten Stil des administrativen Wirtschaftsmanagements Stellung.

Man habe "um die Pläne für maximalen Produktionsausstoß einen Kult gemacht, dabei aber die finanzielle Balance völlig unbeachtet gelassen". Das Wort Finanzen rieche einigen Genossen noch immer nach Kapitalismus. Die folge sei eine extreme Zentralisierung der Planung und der Beschlußfassung gewesen. Staatliche Subventionen, die man ursprünglich für jene Erzeugnisse eingeführt habe, welche an die Bevölkerung verkauft werden sollten, seien im Laufe der Zeit auf Tausende von Produkten und produktiven Leistungen ausgedehnt worden. "Wenn man alle Erzeugnisse preismäßig stützt, weiß am Ende niemand mehr, was sie tatsächlich kosten", stellte Infante fest. "Künftig werden Verluste nicht mehr auf solche Weise abgedeckt." Und er fragte: "Kann man mit einer Wirtschaft, die nicht prosperiert, soziale Programme durchhalten?" Alles, was jetzt in Kuba unternommen werde, verfolge ein einziges Ziel: mehr Sozialismus zu erreichen. Niemand besitze dafür allerdings ein Patentrezept oder habe Ideallösungen in der Tasche. Die Planung und die staatlichen Wirtschaftsbereiche müßten weiterhin den Vorrang gegenüber dem Markt behalten, doch für diesen genügend Spielraum lassen.

Raúl Castro erklärte vor der Nationalversammlung. "Ich bin nicht gewählt worden, den Kapitalismus in Kuba wiederherzustellen oder die Revolution aufzugeben. Ich wurde gewählt, um den Sozialismus zu verteidigen, zu bewahren und fortschreitend zu verbessern, nicht aber um ihn zu zerstören." Der sozialistische Staat werde keinen einzigen Kubaner schutzlos sich selbst überlassen, sondern durch sein soziales Fürsorgesystem sicherstellen, daß alle Menschen, die nicht arbeiten können, auch in Zukunft ein Mindestmaß notwendigen Schutzes erhalten. Die neuen "Leitlinien" markierten die Straße zu einer sozialistischen Zukunft, die den kubanischen Gegebenheiten entspreche und nicht in die kapitalistisch-neokolonialistische Vergangenheit zurückführe.

junge Welt gestützt auf "The Guardian", Sidney
RotFuchs 02.04.2011