Nachrichten


Nachrichten aus und über Kuba

Nachrichten, Berichte, Reportagen zu aktuellen Entwicklungen, Hintergründen und Ereignissen in Kuba, internationale Beziehungen und der Solidarität mit Kuba.


»Die Filme werden wie nirgends sonst gefeiert«

Über Publikum und Programm des Festivals des Neuen Lateinamerikanischen Films in Havanna. Ein Gespräch mit Jeanine Meerapfel.

Am Sonntag endete in Havanna das 41. Festival des Neuen Lateinamerikanischen Films. Sie waren Jurypräsidentin. Wie kamen Sie dazu?

Das müssen Sie den Festivalpräsidenten fragen. Aber ein paar kleine Hinweise: Ich bin argentinische und deutsche Filmemacherin, viele meiner Filme – »La Amiga«, »Amigomío«, »Desembarcos« – wurden auf diesem Festival gezeigt und bekamen Preise. Ich bin oft in Kuba gewesen, das letzte Mal im Februar dieses Jahres bei einer Retrospektive meiner Filme in Havanna.

Als Wolf Donner die Berlinale leitete (1977–1979, jW), habe ich die kubanischen Filme im Programm betreut. Ich habe eine Plakatausstellung gemacht, Seminare mit den Regisseuren Fernando Pérez und Daniel Díaz Torres an der Kunsthochschule für Medien in Köln organisiert und so weiter. Das heißt, ich engagiere mich seit langem für den lateinamerikanischen und insbesondere für den kubanischen Film. Hinzu kommt, dass ich ja ein beeindruckendes Alter habe, und man geht wohl davon aus, dass mit dem Alter die Weisheit kommt.

Wie viele der mehr als 300 Festivalfilme haben Sie gesehen?

22.

Hatten die etwas gemeinsam?

Gewalt in der Familie, Hass und Missverständnisse unter Familienmitgliedern, war ein großes Thema der Filme des Wettbewerbs, als reflektiere die Beschreibung im Kleinen die Gesellschaft im Ganzen.

Welche Kriterien waren bei der Wahl der Preisträger entscheidend?

Ausschlaggebend war die Qualität der Filme, die Haltung, die Kraft und die Wahrhaftigkeit der Erzählung und der Form, in der die Themen transportiert werden. Auch war es der Jury wichtig, die Realität in den verschiedenen Ländern Lateinamerikas widergespiegelt zu sehen. Beispielhaft waren da Filme wie »La llorona« aus Guatemala, »Los sonámbulos« aus Argentinien oder »Algunas Bestias« aus Chile.

Die Eintrittspreise für das Festival sind erschwinglich, ein Block mit sieben Tickets ist für zehn Pesos, umgerechnet 40 Cent, zu haben. Was war Ihr Eindruck von der Zusammensetzung des Publikums?

Das Publikum hier umfasst alle Schichten der Gesellschaft, Jung und Alt kommen in Scharen, leben mit den Figuren in den Filmen. Die Kinos haben 2.000 bis 3.000 Plätze. Es ist eine besondere Erfahrung, mit diesem Publikum die Filme zu sehen: Sie kommentieren, regen sich mit den Figuren auf, erklären sich gegenseitig das Geschehen auf der Leinwand – ein herrliches, lebendiges Chaos. Und die Leute sind unglaublich emotional: Die Filme erhalten wie sonst nirgends Applaus, werden gefeiert.

Eröffnungsfilm war die argentinische Komödie »La odisea de los giles«: Bewohner eines Dorfes in der Pampa werden zu Zeiten der Großen Depression mit einem miesen Trick um ihre Dollar-Ersparnisse gebracht, die sie in eine Genossenschaft hatten stecken wollen, und nehmen Rache – das Festivalpublikum im Theater Karl Marx soll da sehr mitgegangen sein.

Ja. Abgesehen davon ist der Hauptdarsteller Ricardo Darín der Lieblingsschauspieler der Kubaner. Das Kino schrie und bebte, als er auf die Bühne kam.

Das kubanische Kino hat eine große Geschichte. Wie steht es um die Gegenwart?

Schwierig. Es wird zwar noch immer manch wunderbarer Film gemacht von Regisseuren wie Fernando Pérez oder Arturo Soto, aber es gibt wenig Mittel.

Anfang des Monats hat die US-Regierung ihre Sanktionen gegen Kuba noch einmal verschärft. Die Trump-Administration will Havanna den Ölhahn zudrehen. Sind im Alltag Folgen der Blockade zu spüren?

Ja. Es gibt kein Papier, es gibt Kürzungen in allen Bereichen. Es ist schlimm. Die Menschen leiden sehr unter den Beschränkungen.

Wurde beim Festival über Filme gesprochen, die wegen der Blockade nicht gezeigt werden konnten, weil US-Verleiher die Aufführungsrechte für Mittelamerika innehaben?

Nein, davon habe ich nichts gehört.

Jeanine Meerapfel (76) ist Filmemacherin (»La Amiga«, 1988, »Der deutsche Freund«, 2012), Kunsthochschulprofessorin in Köln und seit 2015 Präsidentin der Akademie der Künste in Berlin. Dort wird Mitte Februar der Direktor des Festivals in Havanna, Iván Giroud, bei zwei Veranstaltungen zu Gast sein.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

junge Welt


Dieser Artikel wurde ermöglicht
durch die Abonnnentinen und Abonennenten
der jungen Welt
Dein Abo fehlt

Interview: Alexander Reich

junge Welt, 18.12.2019