Terror gegen die Revolution

40 Jahre nach dem Anschlag auf ein kubanisches Verkehrsflugzeug lebt einer der Haupttäter noch immer unbehelligt von der Justiz in den USA.

»Vor 25 Jahren verabschiedeten wir auf diesem Platz die Särge mit den menschlichen Überresten und persönlichen Wertgegenständen von einigen der 57 Kubaner, elf Bürgern Guyanas und fünf koreanischen Kulturfunktionären, die als Folge eines brutalen Terroraktes starben. (…)


Eine Million Mitbürger, soviel wie heute, verabschiedeten mit Tränen in den Augen (…) auf eine mehr symbolische als reelle Weise unsere Brüder und Schwestern, deren Körper auf dem Grund des Ozeans lagen. Außer einer Gruppe von befreundeten Persönlichkeiten und Institutionen teilte niemand unseren Schmerz; es gab auf der Welt weder Betroffenheit noch schwerwiegende politische Krisen oder Sitzungen der UNO.


Möglicherweise begriffen nur wenige in der Welt die schreckliche Bedeutung dieses Ereignisses. Welche Wichtigkeit hatte es, dass ein kubanisches Zivilflugzeug mit 73 Menschen an Bord während des Fluges zerstört wurde? Es war fast etwas Gewöhnliches. Waren nicht bereits Tausende von Kubanern bei der Sabotage des Schiffes »La Coubre«, im Escambray-Gebirge, in der Schweinebucht und bei Hunderten von terroristischen Aktionen (…) dieser Art getötet worden? Wer würde den Anklagen eines kleinen Landes Bedeutung beimessen? Scheinbar genügte ein einfaches Leugnen seitens des mächtigen Nachbarn und seiner Massenmedien, mit denen er die Welt überflutete, um die Angelegenheit zu vergessen. (…)


Man fordert nicht viel, wenn man verlangt, dass Gerechtigkeit walten gelassen wird im Falle der Fachleute des Terrors, die ihren Terror vom Staatsgebiet der USA aus säen.«


Fidel Castro am 6. Oktober 2001
auf dem Platz der Revolution in Havanna

Am 6. Oktober 1976 explodierten zwei Bomben an Bord einer DC-8-Maschine der Fluggesellschaft Cubana de Aviación, kurz nachdem diese in Barbados mit 73 Passagieren und Besatzungsmitgliedern an Bord gestartet war. Die Piloten hatten das Flugzeug bereits über das Meer gesteuert. Doch wenige Kilometer von der Küste entfernt stürzte die Maschine brennend in die Wellen. Alle TV- und Radiosender in der Karibik und Lateinamerika unterbrachen ihre Programme. Sie meldeten ein Unglück, dessen Ursache zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt war. Die aus dem Wasser gefischten Leichenteile der Opfer wurden in Särge gebettet und nach Havanna gebracht. Bei der Trauerfeier am 15. Oktober auf dem Platz der Revolution beschuldigte Fidel ­Castro die CIA, hinter dem Anschlag zu stecken, und warf Washington vor, die Terroristen zu decken. Dafür hatte der Revolutionsführer handfeste Beweise.

Im Auftrag der CIA

Die beiden Bombenleger, die auf dem Flug von Guyana nach Kuba bei einem Zwischenstopp in Bridgetown ausgestiegen waren, hatten in Barbados noch am gleichen Tag die Botschaft der USA aufgesucht. Bei dem Versuch, sich abzusetzen, wurden sie einige Tage später in Trinidad verhaftet. Sie waren geständig und erklärten, in den Diensten der CIA zu stehen. Als Auftraggeber nannten sie der Polizei in Trinidad die Namen Orlando Bosch und Luís Posada Carriles, zwei ehemalige CIA-Agenten, die gemeinsam mit dem späteren Mörder Che Guevaras, Félix Rodríguez, seit Anfang der 60er Jahre den Terror gegen kubanische Bürger und Einrichtungen organisierten. Posada Carriles war bis 1961 als Mitglied der berüchtigten »Brigade 2506« für die Invasion in der Schweinebucht trainiert worden, bis 1964 gehörte er nach einer Offiziersausbildung in Fort Benning (Georgia) zur US-Armee. Zudem erfuhr Posada Carriles eine Spezialausbildung als Sprengstoffexperte durch den Geheimdienst der USA.

Die Attentäter wurden nach kurzem Prozess für einige Jahre inhaftiert. Ihr Hintermann Posada Carriles, der zu dieser Zeit in Caracas lebte, wurde ebenfalls verurteilt und in ein venezolanisches Gefängnis gesteckt. Nach acht Jahren konnte er jedoch unter zunächst ungeklärten Umständen fliehen. Wie sich später herausstellte, hatte der millionenschwere Geschäftsmann Jorge Mas Canosa, den Posada Carriles noch aus seiner Zeit bei der Armee kannte, die Aufseher mit 50.000 Dollar bestochen und so die Flucht ermöglicht. Mas Canosa war mittlerweile Chef der auf Initiative Ronald Reagans 1981 gegründeten Kubanisch-Amerikanischen Nationalstiftung (Cuban American National Foundation, CANF), einer Organisation militant antikommunistischer Exilkubaner, die Terroranschläge gegen Kuba finanzierte. Posada Carriles setzte sich zunächst nach El Salvador, später nach Nicaragua ab, wo er Contra-Kommandos gegen sandinistische Einheiten und die Zivilbevölkerung kommandierte. 1998 brüstete er sich in einem Interview mit der New York Times damit, für die CANF eine Reihe von Bombenanschlägen auf kubanische Hotels organisiert zu haben. Der im September 1997 dabei getötete italienische Tourist Fabio Di Celmo, spottete Posada Carriles, sei »zur falschen Zeit am falschen Ort« gewesen. In später veröffentlichten FBI-Akten wurde er als »höchst gefährlich« eingestuft.

Schützende Hand der USA

Trotzdem hielt die US-Regierung weiter ihre schützende Hand über ihren Topterroristen, der noch gebraucht wurde. Etwa im Jahr 2000, als er ein Bombenattentat auf Fidel Castro beim Iberoamerikagipfel in der Universität von Panama vorbereitete und dabei den Tod hunderter Teilnehmer in Kauf nahm. Posada Carriles wurde verhaftet, zu acht Jahren Haft verurteilt, aber nicht an Kuba ausgeliefert, wie Havanna gefordert hatte. Im August 2004 begnadigte die ultrarechte Präsidentin Panamas, Mireya Moscoso, nach Rücksprache mit CIA und CANF den Massenmörder am letzten Tag ihrer Amtszeit. Posada Carriles tauchte danach im März 2005 in den USA auf und beantragte politisches Asyl. Dort wurde er später zwar wegen »falscher Angaben bei der Einreise« vor Gericht gestellt, aber für keinen einzigen seiner zahlreichen Morde und Terroranschläge zur Rechenschaft gezogen. 40 Jahre nach dem Terroranschlag in Barbados hält der 88jährige Vorträge, ist Ehrengast auf Veranstaltungen militanter Contra-Organisationen und trifft sich mit aus Kuba eingeflogenen Systemgegnern. Zu seinen Gesprächspartnern gehörte unter anderem auch der vom Europäischen Parlament 2010 mit dem Sacharow-Preis und 50.000 Euro geehrte Guillermo Fariñas.

»Es schmerzt uns jedesmal, wenn wir in den Medien von den Auftritten Posada Carriles hören oder lesen«, erklärte María Margareta Morales Fernández mit Tränen in den Augen für die Angehörigen der Opfer. María war 14 Jahre alt, als ihre Mutter die Nachricht vom Tod des Vaters Luis Alfredo Morales Viego erhielt. »Aber ich denke auch an die 22jährige Nancy Uranga, Mitglied unserer Fechtnationalmannschaft, die schwanger war, als die Terroristen sie töteten«, sagte die Zeitzeugin im März 2014 in London, wo sie sich auf einer internationalen Konferenz für die Befreiung der zu diesem Zeitpunkt noch in den USA inhaftierten Mitglieder der »Cuban Five« genannten Kundschaftergruppe eingesetzt hatte. Morales Fernández nannte es »unerträglich«, dass Posada Carriles in Miami spazieren gehe, während fünf Männer, die weitere Mordanschläge verhindern wollten, dafür ins Gefängnis gesteckt worden waren und der Terror weitergehe.

713 Anschläge

Auf der gleichen Veranstaltung legte der Spezialermittler des kubanischen Innenministeriums für Terrorakte, Roberto Hernández Caballero, eine Statistik der von Miami aus organisierten Angriffe gegen Menschen und Einrichtungen in seiner Heimat vor. Danach waren in der Zeit zwischen dem Sieg der Revolution im Jahr 1959 bis zum Jahr 2014 insgesamt 713 Terroranschläge registriert worden, bei denen 3.478 Menschen getötet und 2.099 so schwer verletzt worden waren, dass sie dauerhaft behindert blieben. Das beweise »einmal mehr, wie sehr wir alle (…) die Doppelmoral des ›Kampfes gegen den Terror‹ im Namen von ›Demokratie und Menschenrechten‹ entlarven sollten«, schrieb Günter Grass, der im April 2015 verstorbene Literaturnobelpreisträger, damals in einem Grußwort an die Konferenzteilnehmer. Den Familien der Opfer des Terroranschlags von Barbados, die sich in Kuba in einem Komitee zusammengeschlossen haben, dem auch María Margareta Morales Fernández angehört, ist das nicht genug. »Wir werden nicht aufhören, weiterhin für Gerechtigkeit zu kämpfen«, verspricht sie.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

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Volker Hermsdorf
Junge Welt, 01.10.2016