Das Volk hat Farbe bekannt!

Wahl der Nationalversammlung

Die Rahmenbedingungen für die Durchführung zur Wahl der Nationalversammlung (Asamblea Nacional del Poder Popular/ANPP), die alle fünf Jahre stattfindet, waren nicht die günstigsten, da der Alltag von einer Vielzahl an Problemen und Schwierigkeiten geprägt ist. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Hier ist als allererstes die noch nie dagewesene Verschärfung der seit mehr als sechzig Jahren bestehenden US-amerikanische Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade gegen Kuba zu nennen. Der ehemalige US-Präsident Donald Trump hat weitere 243 extraterritoriale Maßnahmen verhängt und diese werden unter der Biden-Administration, bis auf geringe Änderungen, weiter praktiziert. Die Blockade hat ein Niveau erreicht, welches es seit 6 Jahrzehnten nicht gegeben hat.

Als ein paar Beispiele sollen nur genannt werden, wie die Verfolgung von Schifffahrtsunternehmen, die Treibstoff nach Kuba transportieren, die Einschränkung von Reisen und Überweisungen aus den USA und die völlig haltlose Einstufung der Insel als ein Land, das den Terrorismus unterstützt, mit all den daraus resultierenden Behinderungen internationaler Finanztransaktionen.

Zu den, alle Bereiche des kubanischen Lebens und Alltag betreffenden Auswirkungen des Wirtschaftskrieges, den die US-Regierung gegen Kuba führt, kommen dann weitere Aspekte, die hier nur in Stichworten genannt werden können, hinzu:

Die gravierenden Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die kubanische Wirtschaft im Allgemeinen und im Besonderen auf den Tourismus. Die weltweite Wirtschaftskrise, gepaart mit den Folgen des Krieges in Europa, hatten und haben zu zusätzlichen Preissteigerungen geführt. Des Weiteren seien die vom VI. Parteitag 2011 beschlossene langsame Umsetzung der Wirtschaftsreform und die Vereinheitlichung/Umstrukturierung der Währung erwähnt. Wobei niemand zum damaligen Zeitpunkt die Covid-19-Pandemie vorhersehen konnte.

Die Besonderheiten des kubanischen Wahlsystems

"Wie kann es eine Demokratie mit nur einer Partei geben?" Diese Frage knüpft an daa weitverbreitete Denken an, dass Demokratie gleichgesetzt wird mit Formen der bürgerlichen repräsentativen Demokratie und einem Mehrparteiensystem. Genau hier setzten die Gegner des kubanischen politischen Systems an, mit der Behauptung, dass es in Kuba keine Demokratie gäbe.

Demokratie im wahrsten Sinne des Wortes ist: "Die Regierung durch das Volk". Im Falle Kubas ist dies dann mit "und für das Volk" zu ergänzen. Wie diese volksnahe Regierung in Kuba organisiert ist, wird in der herrschenden Berichterstattung (bewusst) ausgeblendet.

Der Artikel 3 der kubanischen Verfassung, die 2019 bei einer Volksabstimmung mit 86,6 Prozent der Stimmen angenommen wurde, sagt: "In der Republik Kuba liegt die Souveränität unübertragbar beim Volk, von dem sich die gesamte Staatsgewalt ableitet. Das Volk übt sie direkt oder über die Volksversammlungen (Asambleas del Poder Popular) und andere von ihnen abgeleitete Staatsorgane aus".

Auf dieser Grundlage liegt der wesentliche Inhalt der kubanischen Demokratie in der Bürgerbeteiligung, dem Recht aller Menschen am wirtschaftlichen, politischen und sozialen Aufbau der Nation mitzuwirken und sich zu beteiligen. Deshalb kann die kubanische Demokratie auch sozialistische Demokratie genannt werden.

Die zentrale Besonderheit des kubanischen Wahlsystems ist, dass es das Volk ist, welches nominiert und wählt. Dies ist für die eingeschworenen Feinde des Sozialismus inakzeptabel. Deshalb wurde der kubanische Wahlprozess von diesen als "Farce" denunziert.

Vorbereitung der Wahl

Zur Durchführung der Wahl wurden 12.427 Wahlbezirke mit 28.648 Wahllokalen gebildet.

Im Laufe des Wahlprozesses waren an der Vorbereitung und Durchführung der Wahl über 200.000 Personen beteiligt. Davon kamen mehr als 62.000 aus den Wahlkreisen und in den Wahllokalen haben sich mehr als 118.000 Menschen auf freiwilliger und ehrenamtlicher Basis engagiert.

Die Nominierungsentwürfe wurden von Kommissionen vorbereitet und vorgelegt, die sich aus Vertretern des Dachverbandes der kubanischen Gewerkschaften (CTC), der Komitees zur Verteidigung der Revolution (CDR), des kubanischen Frauenverbandes (FMC), der nationalen Vereinigung der Kleinbauern (ANAP), des Studentenverbandes (FEU) und des Jugendverbandes (UJC) zusammensetzten.

Diese Organisationen hatten in einem demokratischen und breit angelegten Verfahren mehr als 19.000 Vorkandidaten (bei 470 zu wählenden Abgeordneten) nominiert. Die im vergangenen November gewählten 12.327 Delegierten in den Gemeinden wurden dabei berücksichtigt.

Entsprechend dem kubanischen Wahlgesetz sind nur Personen und keine Parteien zur Wahl zugelassen. Aus diesem Grund wurden auch keine der Kandidatinnen und Kandidaten von der kommunistischen Partei Kubas (PCC) nominiert. Viele Bewerberinnen und Bewerber waren allerdings PCC-Mitglieder.

Maßnahmen, die die Wählerinnen und Wähler mit dem Ziel beeinflussen, sich für oder gegen einen Kandidaten zu entscheiden, sind nicht zugelassen.

Nach Abschluss des Nominierungsverfahrens wurden die Namen, Fotos und Kurzbiografien der Kandidatinnen und Kandidaten in den Medien des Landes veröffentlicht und an den Orten mit dem größten Zulauf (Schulen, Geschäfte usw.) ausgehängt. Parallel dazu besuchten die Nominierten unter anderem Stadtviertel, Arbeitsplätze, Studierendenzentren, um mit den Menschen direkt über ihre Pläne und Erwartungen zu diskutieren.

Voraussetzung war, dass die Vorgeschlagenen in hunderten von Veranstaltungen, die von den Wahlschüssen in den 168 Gemeinden organisiert wurden, mehr als 50 Prozent der gültigen abgegebenen Stimmen erhalten hatten.

Unter den Kandidaten befanden sich bekannte Persönlichkeiten, wie der Präsident der Republik, hochrangige Regierungsmitglieder, Künstler und Sportler mit regelmäßiger Medienpräsenz oder auch renommierte Wissenschaftler. Mehrheitlich handelte es sich aber um Menschen, die nicht über ihren Wohnort hinaus bekannt waren.

Die Wahl

Die Wahllokale waren jederzeit öffentlich zugänglich und gemäß Artikel 7 des Wahlgesetzes konnten sich grundsätzlich alle Kubanerinnen und Kubanern, wenn sie im Wahlregister eingetragen sind, sich an den geheimen Wahlen beteiligen.

Zu Beginn des Wahltages wurden die Wahlurnen geöffnet, damit die anwesenden Menschen sehen konnten, dass sich in ihnen nichts befindet, was den Vorwurf des Wahlbetrugs rechtfertigen könnte.

Die Auszählung der Stimmen erfolgte öffentlich. "Wir brauchen keine internationalen Beobachter. Das ganze Volk hat das Recht, die Möglichkeit und die Macht, Beobachter zu sein, und es macht auch davon Gebrauch." (1) Gewählt sind dann die Kandidaten, die mehr als 50 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten.

Dem Wahlgesetz entsprechend konnten am 26. März 2023 alle Wählerinnen und Wähler so viele Kandidaten wählen, wie auf dem Stimmzettel aufgeführt waren. Wer dies, aus welchen Gründen auch immer, nicht wollte, hatte die Möglichkeit auch nur eine Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten zu wählen. Die Führung der kubanischen Revolution hatte, als Ausdruck der Einheit (Cuba voto unida!), dazu aufgerufen, für alle Kandidatinnen und Kandidaten zu stimmen.

Anders als beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland sind die Abgeordneten ihren Wählern gegenüber rechenschaftspflichtig und können, auch zwischen den Wahlterminen, jederzeit wieder abgewählt werden. Ebenfalls anders als bei uns erhalten die Abgeordneten auch keine besonderen Vergünstigungen in Form von Diäten oder ähnlichem.

Während in repräsentativen Demokratien die Wählerinnen und Wähler nach der Stimmabgabe kaum noch Einfluss auf die Entscheidungen der Regierung haben, hat Kuba nach dem Sieg der Revolution ein System der direkten Demokratie entwickelt.

Das Wahlergebnis

Nach Mitteilung der Präsidentin des nationalen Wahlrates (CNE), Alina Balseiro, lag die Wahlbeteiligung bei 75,92 Prozent. Dieses Ergebnis ist zwar etwas niedriger als bei den vergangenen Wahlen im Jahr 2018 (78,92 %), allerdings ist es besser als angesichts der schwierigen Lage des Landes erwartet wurde.

In konkreten Zahlen ausgedrückt haben von den insgesamt 8.126.321 Wahlberechtigten 6.167.605 von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht. Im Vergleich zu den letzten landesweiten Abstimmungen, dem Referendum/Volksabstimmung über das "Gesetzbuch der Familien" ein Plus von 1,8 Prozent und bei den Kommunalwahlen im November ein Plus von 7,36 Prozent.

Gemäß den Informationen des Nationalen Wahlrates (CEN) wurden alle Abgeordneten mit mehr als 61 Prozent Stimmen gewählt. Von den abgegebenen Stimmen waren 90,28 Prozent gültig, 6,22 Prozent der Stimmzettel waren leer und 3,50 Prozent waren ungültig.

Somit sind 72,1 Prozent dem Aufruf der Führung der Revolution "Cuba voto unida!" gefolgt und 27,9 Prozent haben selektiv gewählt. (2)

Weltweit nimmt Kuba mit einem Frauenanteil von 55,7 Prozent im Parlament den zweiten Platz ein. Im Vergleich kommt die BRD auf Platz 42 mit einem Frauenanteil von 35 Prozent.

Ebenfalls im Vergleich mit anderen Ländern ist die jüngere Generation im kubanischen Parlament stärker vertreten. Von den 470 Abgeordneten sind 93 (19,8%) jünger als 35 Jahre. (3)

Zum Ergebnis der Wahl erklärte Díaz-Canel: "Mit dem einheitlichen Votum verteidigen wir die Einheit des Landes und die Zukunft und legitimieren das Erbe von Fidel, Raul und allen Gefallenen." (4)

Das Wahlergebnis ist Ausdruck des Vertrauens der Kubanerinnen und Kubaner in die Revolution. Es ist auch ein Ergebnis der politischen Bildung, also dem Wissen über die wesentliche Ursache (der Wirtschaftskrieg, den die USA gegen Kuba führt), die für die aktuelle Situation verantwortlich ist.

Konstituierung der Nationalversammlung

Die konstituierende Sitzung des neuen kubanischen Parlaments fand am 19. April 2023 statt, dem Jahrestag des Sieges über die Invasion in der Schweinebucht.

Der bisherige kubanische Präsident Miguel Diáz-Canel wurde in seinem Amt für eine weitere fünfjährige Amtszeit bestätigt. Der 62-jährige hat 459 von 460 gültigen Stimmen erhalten.

Der bisherige Vizepräsident, der ehemalige Vorsitzende des Dachverbandes der kubanischen Gewerkschaften (CTC), Salvador Valéz Mesa, wurde mit 439 Stimmen ebenfalls erneut bestätigt. Der Präsident des Ministerrats, Manuel Marrero Cruz, wurde wiedergewählt. Für diese drei gilt allerdings, dass sie nach der zehnten Wahlperiode nicht erneut kandidieren können, da die im Jahre 2019 in Kraft getretene Verfassung nur eine einmalige Wiederwahl zulässt. (5)

Anstehende Aufgaben

Die 470 gewählten Abgeordneten stehen vor der großen Aufgabe, sich mit der aktuellen wirtschaftlichen Situation auseinanderzusetzen und Lösungen auf den Weg zu bringen, die eine positive Entwicklung ermöglichen.

Das Wichtigste ist die Bekämpfung der Inflation und die Reduzierung, im besten Falle die Beseitigung, der Probleme bei der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Medikamenten sowie die Stabilisierung der Stromversorgung.

In seiner ersten Rede nach seiner Wiederwahl sagte der kubanische Präsident Díaz-Canel: "In den vergangenen Jahren haben wir jeden Tag die Schläge des unerklärten Krieges gegen die Wirtschaft und die Gesellschaft unseres Landes, gegen das tägliche Leben und die Träume eines ganzen Volkes vom Fortschritt gespürt." (6)

Er kündigte an, dass für die unmittelbare Zukunft der Schwerpunkt "(…) auf der Nahrungsmittelproduktion, der Nutzung brachliegender Produktionskapazitäten, der Steigerung der Deviseneinnahmen, den von den sozialistischen Staatsunternehmen geforderten Umgestaltungen, der Effizienz des Investitionsprozesses und der Beteiligung ausländischer Investitionen (…)" liegen werden. (7)

Das Ziel aller Maßnahmen ist es, das Angebot an Waren und Dienstleistungen zu erhöhen und die Inflation unter Kontrolle zu bekommen.

"Wenn wir Abgeordneten systematisch in jeder Gemeinde oder jedem Bezirk arbeiten und die lokalen Behörden begleiten, ohne sie aus ihren Funktionen zu verdrängen, wenn wir weiterhin den Menschen zuhören und Probleme, die über die Provinzen hinausgehen, zur Lösung auf höhere Ebenen bringen, werden wir ihnen jeden Tag ein Stückchen mehr von ihren Problemen abnehmen", fuhr er fort.

Er äußerte sich auch zu der Arbeit, die geleistet werden muss, um das Bildungs-, Gesundheits-, Kultur- und Sportsystem weiter zu stärken. Es geht darum, ein angemessenes Verhältnis zwischen dem staatlichen und dem nichtstaatlichen Sektor der Wirtschaft zu erreichen. Die Bekämpfung der Inflation und der spekulativen Preise steht ebenfalls auf der Agenda. Darüber hinausgeht, die Jugend stärker an grundlegenden Aufgaben zu beteiligen, bei der sozialen Umgestaltung der Stadtviertel und bei der Betreuung von Menschen in prekären Situationen voranzukommen. Ebenfalls sollen alle Formen von Gewalt gegen Frauen und jede Form von Diskriminierung beseitigt werden. Die Bekämpfung von Korruption, Kriminalität und Verbrechen steht im Fokus sowie die Förderung von Projekten der sozialen Entwicklung. (8)

Die kubanische Revolution hat ein politisches Novum geschaffen, indem sie eine Versammlung von Arbeitern, Bauern, Intellektuellen, Studenten, Frauen und Männern, Weißen, Schwarzen und Mulatten, jungen und nicht mehr ganz so jungen, religiösen und nicht religiösen Menschen ins Leben gerufen hat.

Und über die Wahl hinaus verfügt die kubanische Gesellschaft über viele andere Formen der demokratischen Beteiligung und der Verteidigung der Rechte der Arbeiter, der Studenten und der Bewohner der Gemeinden, die denen des Kapitalismus überlegen sind.

1) https://de.granma.cu/cuba/2023–03-30/diaz-canel-das-kubanische-volk-hattebei-dem-wahlsieg-die-hauptrolle
2) https://de.granma.cu/cuba/2023–03-31/endergebnis-bestatigt-mehrheitliche-beteiligung-der-bevolkerung-an-den-nationalen-wahlen
3) UZ, 14. April 2023, S. 7
4) Granma International, April 2023, S. 3
5) jW/21.04.2023/Ausland/Seite 6
6) jW/21.04.2023/Ausland/Seite 6
7) jW/21.04.2023/Ausland/Seite 6
8) https://de.granma.cu/cuba/2023–03-30/diaz-canel-das-kubanische-volk-hatte-bei-dem-wahlsieg-die-hauptrolle


CUBA LIBRE Peter Knappe

CUBA LIBRE 3-2023