Jorgitos Log:

(Un-) Sicheres Internet

Jorgito Jerez Belisario


Die Kubanische Revolution schreibt unglaubliche Geschichten.

Jorge Enrique Jeréz Belisario kam 1993 mit einer schweren spastischen Lähmung auf die Welt. Er selbst sagt, dass es Jorgito el Camagüeyano nur deshalb heute noch gibt, weil er unter der schützenden Hand der Revolution aufwachsen konnte. So verwirklicht er heute seinen Lebenstraum und arbeitet als Journalist.
Jorgito war einer der wichtigsten Aktivisten im Kampf für die Freilassung der »Cuban Five«. Besonders verbunden ist er Gerardo Hernández, dessen Rückkehr nach Kuba er im Dezember 2014 feiern durfte. Der Dokumentarfilm »Die Kraft der Schwachen«, der Jorgitos Leben erzählt, ist über die Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba erhältlich.

Jorgito bloggt regelmäßig auf http://jorgitoxcuba.wordpress.com/.
Die CUBA LIBRE ehrt er mit einer regelmäßigen Kolumne.



Von einer neuen digitalen Ära zu sprechen, wäre sicherlich falsch - schließlich gibt es in dieser ungleichen Welt immer noch Menschen, die von elektrischem Strom kaum zu träumen wagen. Dennoch wäre es töricht, die Wirkung des Internets auf die moderne Gesellschaft zu ignorieren. Manche sprechen sogar von der Fünften Gewalt. Fragt sich nur, wie sicher wir im World Wide Web sind. Dies vor allem, wenn man sich vergegenwärtigt, dass im Januar 2019 die Daten von über 773 Millionen infiltrierten E-Mail-Adressen und 20 Millionen gehackten Passwörtern als Paket "Collection #1" angeboten wurden.

Wir Kubaner sind gerade dabei, derartige Phänomene kennenzulernen, die die Welt schon seit längerem begleiten, welche uns aber lange nicht behelligt haben. So schätzt man beispielsweise, dass in Spanien 6,9 Prozent der Schülerinnen und Schüler zwischen 12 und 16 Jahren in den letzten zwei Monaten Opfer von Cyberspannern wurden. 3,3 Prozent geben zu, selbst als Aggressor aktiv geworden zu sein. Einer von fünf Jungen und eins von sieben Mädchen sind von Cybermobbing betroffen.

Nach diesen Angaben sind in jedem Klassenraum durchschnittlich zwei Betroffene zu finden. Nach der Auffassung von Fachleuten wirkt sich dies negativ auf die Lebensqualität von vielen Kindern und Jugendlichen aus. Aus Argentinien erreichen uns alarmierende Zahlen: acht von zehn Minderjährigen haben zumindest im Internet bereits eine verstörende Situation erlebt, in der sie etwa obszöne, pornografische oder gewaltvolle Bilder gesehen haben oder Opfer von Nachstellungen oder Diskriminierung auf digitalen Plattformen geworden sind.

Diese virtuellen Erlebnisse gehören heute auch zum Leben der Kubanerinnen und Kubaner. Im Gleichklang mit dem politischen Willen, unsere Gesellschaft zu digitalisieren, muss auch ein Interesse bestehen, die Kubaner auf den Eintritt in diese komplexe Welt vorzubereiten. Die Verbreitung der digitalen Technologien nimmt maßlos zu, und unsere Insel gehört zu den Orten auf der Welt, an denen die jährliche Zunahme an Internetanschlüssen derzeit am größten ist.

Obgleich Kuba für lange Jahre am unteren Ende dieser Statistik zu finden war, haben wir doch immer daran gearbeitet, eines Tages bis auf den vierten Platz der Staaten mit der größten Verbreitung des Internets in der Welt zu klettern. Zurückzuführen ist dies auf die Anstrengung der höchsten politischen Kreise, unser Volk in diesem Sinne vorzubereiten. Mit welchem Erfolg bleibt fraglich, schaut man sich die von kubanischem Boden getätigten Google-Suchen der letzten Jahre an, die meiner Meinung nach nicht unserem realen Bildungsstand entsprechen. Die meisten Suchbegriffe der letzten Jahre bezogen sich auf Facebook, Fotos, Nachrichten, gmail, yahoo und Liebesangelegenheiten. Außerdem ragen die Granma, Cubadebate, Revolico Wikipedia und Youtube hervor.

Eine besondere Erwähnung verdient Ecured, die kubanische Webseite mit den höchsten Zugriffen, etwa 200.000. Auch wenn es unglaublich klingen mag, so bevorzugen wir Kubaner immer noch unser eigenes Wiki. Unter den Suchbegriffen sticht immer noch IMO hervor, die Android-App, die offensichtlich ganz nach dem Geschmack der Kubaner funktioniert und die es uns ermöglicht, über Videotelefonie Kontakt zu unseren Freunden und Familienangehörigen zu halten.

Die wenigsten allerdings nutzen die Internetverbindung, um sich zu informieren und ihren Bildungsstand zu erhöhen. Vielleicht hängt dies mit den Kosten der mobilen Datenverbindung zusammen, die zwar gesunken, aber immer noch für viele unerreichbar sind.

Genauso, wie wir uns Gedanken über die Medienerziehung machen, sollte jemand sich dafür verantwortlich fühlen, die Kubanerinnen und Kubaner darauf vorzubereiten, im Netz zu surfen, ohne dabei unterzugehen. Vor allem, wenn man die Einschätzung teilt, dass aktuell die Hälfte aller Informationen, die im Internet kursieren, unwahr ist und dabei berücksichtigt, dass die Mehrzahl der Kubaner recht spät in dieses Universum eingestiegen ist.

Die beste Vorkehrung gegen die Gefahr, vorherrschende Diskurse mit Kolonialcharakter einfach nur zu wiederholen, besteht darin, schöpferisch wirksam zu sein, neuartige Inhalte zu schaffen und die Technologien als Bündnispartner zu gewinnen. Darin besteht die entscheidende Schlacht dieses Jahrhunderts. Sind wir wirklich darauf vorbereitet, uns den alltäglichen Situationen im Netz zu stellen? Das Schlimme ist, dass es nicht bei den vereinzelten Erfahrungen einzelner Nutzer bleibt. Mit der Ankunft des globalen Netzwerks wurden auch die Kommunikationsmedien digital und waren in ihrer Fähigkeit, Informationen zu verbreiten, nicht mehr einzigartig. Heutzutage können die Menschen in jedem Winkel des Planeten Inhalte erstellen und verbreiten.

Abgesehen von der sogenannten "Demokratisierung", die "den Stimmlosen eine Stimme gibt", besteht die größte Besorgnis der Welt darin, dass es ab dem Jahr 2022 mehr falsche als richtige Informationen im globalen Netz kursieren werden. Die Fakenews ergreifen Besitz von den Netzen, und wir sind immer weniger in der Lage, zwischen gut und schlecht, zwischen real und irreal zu unterscheiden. Dieses Phänomen hat Einfluss selbst auf das Schicksal ganzer Nationen.

Auf Twitter beispielsweise, eines der verbreitetsten und politischsten Sozialen Netzwerke, sind die Daten alarmierend: Falschmeldungen bekommen 70 Prozent mehr Tweets als wahre Nachrichten und werden demnach stärker unter den Followern verbreitet. Das Netzwerk mit dem blauen Vögelchen wurde, gemeinsam mit anderen, unter anderem in Ländern wie den USA, Deutschland, Frankreich, Spanien und Großbritannien dazu verwendet, um Stimmung zu machen, den öffentlichen Diskurs zu vergiften und Wahlen zu beeinflussen.

Wie kann man von einem sicheren Internet sprechen, solange die Großmächte Millionen investieren, um den Cyperspace in ein Schlachtfeld zu verwandeln? So präsentierten die USA im Jahr 2009 ihr neues Cybercommando mit einer Kampfstärke von 6.000 Mann. Seinen Sitz hat es in Maryland und seine Aufgabe besteht darin, auf Teufel komm raus ein digitales Pearl Harbor zu verhindern. Fest steht, dass von Fort Meade aus Angriffe gestartet wurden, und dies nicht zu Verteidigungszwecken. Man vermutet zum Beispiel, dass von dort im Januar 2010 die erste "digitale Atombombe" gezündet wurde – ein hochentwickelter Virus, mit dem das iranische Atomprogramm attackiert wurde. Für uns Kubaner ist das Thema nicht weit weg, hat doch die US-Regierung eine Internet-Task-Force zur Destabilisierung der inneren Ordnung in Kuba angekündigt.

Dabei geht es mir nicht darum, das Internet zu verdammen. Heutzutage ist gesellschaftliche Entwicklung ohne Netzanbindung kaum noch vorstellbar. In einer einzigen Internetminute werden weltweit 30 Millionen Whats-App-Nachrichten bewegt; etwa vier Millionen Youtube-Videos geschaut; 70.000 Stunden Video über Netflix gestreamt; 350.000 Apps über iTunes und Google-Play runter geladen; 45.000 Fotos auf Instagram und 450.000 Tweets auf Twitter veröffentlicht; 150 Millionen E-Mails verschickt und 3,5 Millionen Suchanfragen an Google gesendet.

Wäre das Internet für nur eine Minute abgeschaltet, würden weltweit fünf Millionen Verkaufsaktionen weniger gemacht; VISA würde 1,5 Millionen Finanzoperationen verlieren, Mastercard etwa eine Million. Weltweit würden die Börsen 70.000 Transaktionen nicht machen können und 200.000 Versicherungen nicht abgeschlossen werden. All das in nur einer Minute Internet.

Es kommt darauf an, die Bürgerinnen und Bürger Kubas von klein auf darauf vorzubereiten, sich diesen Herausforderungen stellen zu können. Nach einer Studie der Social Network-Agentur We are social waren Ende 2019 63Prozent der Bevölkerung Kubas an das Internet angeschlossen. Damit sind wir weit über dem weltweiten Durchschnitt. Für das hypervernetzte Kuba von heute, vor allem mit unserer Gesellschaftsordnung, muss das Ziel sein, ein besseres Internet zu schaffen und uns zu befähigen, diese Technologie auf eine verantwortungsbewusste, respektvolle, kritische und kreative Weise zu nutzen.

CUBA LIBRE (Übersetzung: Tobias Kriele)

CUBA LIBRE 2-2020