Ein Berliner Nachmittag unter Kubanern

Berlin am 15. Januar 2018 – es sind zwei Grad unter Null, aber im Keller zuhause bei Conde, wo wir Kubaner – alteingesessene Bewohner der deutschen Hauptstadt und Botschaftsangestellte – uns versammelt haben, herrscht dem Wetterbericht zum Trotz ein anderes Klima. Das Haus ist einladend, ein Neubau am Stadtrand. Unser Gastgeber wird lange Jahre mit seiner Abzahlung beschäftigt sein. Er stellt das mit einem Seufzer fest. Er hat sein Haar wachsen lassen und fügt scherzhaft hinzu: "Ich habe kein Geld, um zum Friseur zu gehen." Einige Stunden zuvor hatte ich in dem kleinen Hotel, in dem ich untergebracht bin, beim Frühstück gehört, wie der Inhaber – zugleich der Rezeptionist und der Roomservice – am Telefon Russisch sprach. Sofort sprach ich den Mann in dieser Sprache an, und dieser konnte seine Freude nicht verbergen, als er hörte, dass ich zudem in seiner Geburtsstadt Kiew studiert habe. Eine Zeitlang redete er ohne Unterlass: "Meine Brust schmerzt jedes Mal, wenn ich über Kiew und die Ukraine spreche", sagte er. "Eine sehr schöne Stadt", antwortete ich und lächelte traurig. Seit 25 Jahren ist er in Berlin und denkt nicht daran, zurückzukehren. Mit einer Geste der Bekümmerung fügte er hinzu: "Es ist nicht mehr dasselbe wie früher … ich war nie Kommunist" (eine Feststellung, die in diesem Land wichtig ist), "aber damals herrschte Ordnung und man konnte dort leben".

Jetzt, im Hause Conde, herrscht eine andere Stimmung. Natürlich schwelgen wir in Erinnerungen, aber es dominiert ein Gefühl der Brüderlichkeit, dem die Jahre nichts anhaben können. Die Gesichter, die Gesten könnten nicht kubanischer sein, und das, obwohl einige seit mehr als dreißig oder vierzig Jahren in Berlin leben. Sie kamen in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, um zu arbeiten oder um zu studieren und sind dann geblieben. Andere sind erst in diesem Jahrtausend ausgewandert. Der gemeinsame Nenner der meisten ist die Liebe: mit einer Deutschen verheiratet, haben sie Kinder, in denen zwei Kulturen verbacken sind. Wir sprechen von der Politik, der deutschen und der kubanischen, und alle sind auf der linken Seite zuhause – dort, wo das Herz schlägt. Sie sind Söhne der Revolution, die nicht wollen, dass diese verschwindet. Sie können nicht mit Trump und seiner verhärteten Blockade. Man spricht über alltägliche und auch über tiefer gehende Fragen. Natürlich wird gescherzt; Urlaube werden geplant und sogar die endgültige Rückkehr. Conde, der in Kuba in der baptistischen Kirche Theologie studiert hat, liest einen Gedanken von Konfuzius vor. Diego, ein katalanischer Liedermacher, der seit sechs Jahren versucht, sein Glück in Berlin zu machen (und der die Unabhängigkeit seiner Heimat akzeptieren würde, wenn das Volk sich letzten Endes so entscheidet, sich aber ansonsten den restlichen Kulturen Spaniens verbunden fühlt), singt zwei Lieder für uns, ein eigenes und ein kürzlich angeeignetes von Compay Segundo. Wir verabschieden uns, es gibt Umarmungen, den Austausch von E-Mail-Adressen, versprechen baldiges Wiedersehen, entweder hier oder dort, heißt es. Das Leben der Ausgewanderten ist hart. Der Ukrainer, der Katalane und diese Kubaner wissen es, auch wenn jeder eine andere Erfahrung im Leben gemacht hat. Einige haben ihr Land verloren, andere hatten nie eins, aber Conde, Frνas, Silva, Oliva und Ávila wissen, dass sie, solange die Revolution existiert, eine Heimat haben, sie, ihre Kinder und ihre Enkel, halb Kubaner, halb Deutsche.

Diese Diana-Busse werden in Kuba hergestellt

Enrique Ubieta
Quelle: www.ecured.cu


Enrique Ubieta Gómez
Kubanischer Philosoph und Journalist. Von 1978 bis 1983 studierte er Philosophie an der Universität Kiew. Er verteidigte seine Abschlussarbeit im Fach Ästhetik. Anschließend studierte er Geschichte der kubanischen Literatur und Literaturkritik an der Universität von Havanna (1985–1986) und erhielt Forschungsstipendien am Institut für Weltliteratur in Moskau (1987), am College of Mexico (1989–1990) und an der Library of Congress in Washington (2001). Er absolvierte ein Aufbaustudium in Philosophie, Pädagogik und Ästhetik an den Universitäten von Camagüey und Havanna.






CUBA LIBRE Übersetzung Tobias Kriele

CUBA LIBRE 2-2018