Ein wankendes Nadelöhr

Am 9. und 10. April versammelten sich in Panama die 35 Staats- und Regierungschefs des Amerikanischen Kontinents.

In seiner siebten Auflage verdiente sich der »Amerikagipfel« zum ersten Mal seinen Namen, hatte doch die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) - nicht ganz aus freien Stücken - auch das sozialistische Kuba eingeladen. Es war der Gastgeber Panama, der angesichts der Boykottdrohungen der ALBA-Staaten die USA und Kanada mit dieser Entscheidung konfrontierte.


Der Gipfel selbst blieb ohne eigentliche Ergebnisse, wurde doch eine gemeinsame Abschlusserklärung durch die Regierungen der USA und Kanadas verhindert. Im Vordergrund der medialen Berichterstattung stand der symbolträchtige Händedruck zwischen den Präsidenten Barack Obama und Raúl Castro.

Und doch hatte der Gipfel historischen Charakter, verdeutlichte er schließlich das Scheitern der aggressiven US-Politik gegenüber Lateinamerika. Während die amtierenden Präsidenten Lateinamerikas auf dem Gipfel die Aggressionen der Vereinigten Staaten gegen Venezuela verurteilten, lamentierten 32 ehemalige Präsidenten in einer kurz vor dem Gipfel veröffentlichten »Erklärung von Panama« über angebliche Demokratiedefizite der Regierung Venezuelas. Deutlicher hätte der Übergang vom gestrigen zum heutigen Lateinamerika nicht werden können.

Längst ist es eine Realität, dass Obama dem vereinten Druck Lateinamerikas und der Karibik nicht ohne Verluste standhalten kann. Auch das dokumentierte der Gipfel: Obama erklärte, Kuba von der Liste der den Terrorismus unterstützenden Staaten streichen zu wollen und relativierte zugleich die im März des Jahres getätigten aggressiven Erklärungen seiner Regierung gegenüber Venezuela. Der Handlungsspielraum der USA in Bezug auf Lateinamerika ist enger geworden.

Offensichtlich hat Obama es sich zur Aufgabe gemacht, während seiner letzten Amtszeit strategische Korrekturen vorzunehmen. Menschenfreundlichkeit dürfte dabei das geringste Motiv sein; das Interesse, an Handlungsfähigkeit zu gewinnen, das entscheidendere. Die USA wollen nicht mit Lateinamerika sprechen, verhandeln und Geschäfte zum beidseitigen Nutzen machen – sie müssen es.

Die Europäische Union wird den Verlauf des Gipfels in Panama nicht ohne Häme, aber auch nicht ohne Unbehagen verfolgt haben. Häme deshalb, weil der heimlich ungeliebte Seniorpartner USA in seinem eigenen Hinterhof ins Straucheln kommt. Der Integrationsprozess Lateinamerikas und der Karibik bedeutet auch, dass der vormals fest vergebene Rohstoff- und Absatzkuchen neu verteilt wird. Lateinamerika ist bestrebt, die einseitige Abhängigkeit von den USA zu beenden, was im Prinzip gute Aussichten für europäische Unternehmen, Investoren und Spekulanten bedeutet.

Das Unbehagen kommt nun daher, dass die Europäischen Regierungen sich nicht schlüssig zu sein scheinen, wie auf das lateinamerikanische Selbstbewusstsein zu reagieren sei. Besonders deutlich wird dies an der Kubapolitik. Der sogenannte »Gemeinsame Europäische Standpunkt gegenüber Kuba« der EU-Staaten – das Pendant zur US-Blockade – ist obsolet. Den meisten nationalen Regierungen ist dies in aller Dringlichkeit bewusst. Einflussreiche und traditionell US-orientierte Kräfte der politischen Rechten torpedieren jedoch bislang einen einhelligen Beschluss der Europäischen Union.

Die Bundesrepublik Deutschland ist unter den Ländern, die sich am stärksten gegen einen offenen Dialog mit Lateinamerika (sprich in diesem Falle: mit Kuba) sperren, das einflussreichste.

Das Treffen zwischen der EU und der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC) am 10. und 11. Juni in Brüssel wird das Dilemma der EU weiter deutlich machen. Die Ansage der CELAC ist eindeutig: Ohne Änderung der neoliberalen und neokolonialen Haltung Europas gegenüber Lateinamerika keine Vertiefung der Geschäftsbeziehungen im großen Stil.

Die EU müsste schnellstens politische Zugeständnisse machen, um gegenüber den in Bewegung geratenen USA nicht ins Hintertreffen zu geraten. Ob sie angesichts der Gemengelage an widersprüchlichen Interessen dazu in der Lage ist, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Der rege Reiseverkehr von europäischen Regierungsvertretern nach Havanna, welcher sich in der ersten Jahreshälfte abzeichnete, wird sich in den kommenden Monaten noch verstärken. Das Nadelöhr liegt in der vollständigen Anerkennung der Legitimität der Regierung Kubas und in der Abschaffung der die Insel betreffenden Sondergesetze und -verordnungen. Der »Europäische Standpunkt« wankt, weil er wanken muss. Die Kuba-Solidaritätsbewegung sollte ihren Teil dazu leisten, um ihn endgültig zum Einsturz zu bringen.


CUBA LIBRE Tobias Kriele

CUBA LIBRE 3-2015