Unterschiedliche Motive für eine Integration

Am ersten Dezemberwochenende 2011 wurde in Caracas die Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibischen Staaten (Comunidad de Estados Latinoamericanos y Caribeños) gegründet – die CELAC.

Der wichtigste Schritt in Richtung Gründung der CELAC war dabei die im brasilianischen Costa do Sauípe im Dezember 2008 angegangene Zusammenlegung der Rio-Gruppe mit dem CALC (Gipfel der Staaten Lateinamerikas und der Karibik für Integration und Entwicklung). Im Februar 2010 sprach man bei einer zweiten Zusammenkunft offiziell von der CELAC-Gründung für spätestens 2012. Rio-Gruppe und CALC sind nun in die CELAC übergegangen.

Die CELAC umfasst dreiunddreißig unabhängige Staaten Amerikas: neunzehn lateinamerikanische, vierzehn karibische. Nicht dazu gehören die USA ( also auch nicht ihre lateinamerikanische Kolonie Puerto Rico ) und Kanada. Es wäre aber falsch, nun dem »Eine OAS ohne die USA«-Reflex zu folgen. Denn die Ausgrenzung der USA und Kanadas ist keine linke Politik – im marxistischen Verständnis des Fortlaufs der Geschichte handelt es sich bei einer Integration abhängig gehaltener Staaten vielmehr um eine historische Notwendigkeit.

Die Ausgrenzung der nördlichen Nachbarn ist aber nicht das, was die allermeisten der CELAC-Mitglieder angetrieben hat; streng genommen lässt sie sich nicht einmal völlig widerspruchsfrei aus der Geschichte herleiten. Denn zwar ist die CELAC Kulminierung eines Prozesses, der 1826 mit dem von Simón Bolívar einberufenen Kongress von Panama begonnen wurde, aber da waren zur Teilnahme die USA noch eingeladen, die in der Folge mit »Teile und herrsche« jede Annäherung im Süden torpedierten. Integrationshindernis Nummer 1 wurde ab 1948 die einzig US-Interessen dienende Organisation Amerikanischer Staaten ( OAS ). Die Rolle der USA, die nicht wenige Mittel zur Destabilisierung an der Hand haben und in den letzten zweieinhalb Jahren auf dem Weg des rechten Rollbacks eine Reihe Wahl- und sonstige Erfolge erzielen konnten, wird für die Fortentwicklung der CELAC eine feste Größe bleiben.

Angesichts der seit seinem Amtsantritt 1999 unermüdlich auf die Umsetzung von Bolívars Erbe ausgerichteten Politik des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez war der Tagungsort Caracas kein Zufall. Jedoch blieb das Lob auf den Lateinamerikanismus hinter den Reden von einer »gemeinsamen Stimme angesichts der Herausforderungen der Weltwirtschaftskrise« oder der Notwendigkeit einer «Integration in den Weltmarkt, die auf Augenhöhe nur gemeinsam« zu schaffen sei, in seiner politischen Bedeutung zurück.

Tatsächlich waren die Integrationsanreize seit 1826 immer beides: ökonomischer und kultureller Natur. Den Unterbau für die CELAC stellte seit 1980 die Lateinamerikanische Integrationsgemeinschaft ( ALADI ) dar. Von den Regierenden bevorzugt wurden aber die subregionalen Modelle wie die Karibikgemeinschaft CARICOM ( 1973 ) oder MCCA ( Zentralamerikanischer Gemeinsamer Markt, 1960 ). Der MerCoSur ( 1991 ) fiel dagegen bereits in eine Phase der Öffnung für internationales Kapital.

Die Rio-Gruppe ( 1986 als Konzertierungsinstrument von inzwischen 23 Regierungen gebildet ), die CARICOM, die international schon länger als geschlossene Gruppe auftritt, und die noch junge UNASUR ( 2008 aus 12 Staaten Südamerikas gebildet ) waren zuletzt erheblich effektivere Vorarbeiter für die CELAC.

Die Ergebnisse des Gipfels, die in der »Erklärung von Caracas« ( www.granma.cu/aleman/unser-amerika/6dic-Erklarung.html ) nachzulesen sind, zeigen soziale wie ökonomische Aspekte. Es geht neben einer »konzertierten Stimme Lateinamerikas und der Karibik« gegenüber anderen Blöcken um gesellschaftliche Inklusion und ein nachhaltiges, gerechtes Wachstum genauso wie um Kapitalfluss und Ressourcenverkauf. Dabei soll »die CELAC im Prozess der politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Integration vorwärtsgehen, indem sie ein weises Gleichgewicht zwischen der Einheit und der Vielfalt unserer Völker herstellt«. Im Gegensatz zur OAS, aus der Kuba 1962 eben deshalb ausgegrenzt wurde, soll jede Nation das Recht auf ein eigenes politisches und wirtschaftliches System haben – zur Erinnerung: die EU hat im Lissabonner Vertrag den Kapitalismus festgeschrieben. Weitere Punkte wie das Verbot der Gewaltanwendung, Achtung von Souveränität und Integrität des Territoriums, Nichteinmischung oder Förderung von Menschenrechten und Demokratie und Freiheit von Kolonialismus und militärischer Okkupation lesen sich wie ein Auszug aus den Grundsätzen der Vereinten Nationen. Eine Erwähnung der Vorreiterrolle Kubas für die Integration ( regionale Gesundheits- und Bildungsprojekte ) fiel notwendigen Kompromissen zum Opfer.

Die CELAC muss als Kompromiss zwischen widerstreitenden Gesellschaftsmodellen wie dem kubanischen auf der einen und dem der 32 anderen Länder ( bei gegebenen Unterschieden ) auf der anderen Seite begriffen werden – natürlich mit Konsequenzen für die Gesellschaftssysteme beider Seiten. Eine nicht unwesentlich durch den Wunsch nach Weltmarktchancen definierte Integration würde schwerlich fortschrittlich sein; darüber hinaus sind die politischen Inhalte des Bündnisses maßgeblich. Und von diesen ist bei dem vereinbarten Konsensprinzip derzeit nicht viel zu erwarten. Klar ist deshalb auch, dass die 2009 eingesetzte Rechtsentwicklung in Lateinamerika die Integration auch zu ihren Gunsten beeinflussen kann.

Logo CUBA LIBRE Günter Pohl

CUBA LIBRE 2-2012