Musikkultur in Kuba - eine persönliche Retrospektive des Sommers 2011

Im Grunde begann alles mit einem runden Geburtstag meinerseits, den ich – noch ziemlich jetlagig – am Tag nach meiner Ankunft in Havanna feierte. Jemand anderes vor Ort hatte das rauschende Fest dankenswerterweise für mich perfekt vorbereitet und unter den ca. 30 Gästen befand sich der bekannte cubanische Liedermacher Gerardo Alfonso. Wie ich nun zu der Ehre kam, einen derart prominenten Gratulanten begrüßen zu dürfen, darüber möchte ich mich hier nicht auslassen. Jedenfalls war er da und hatte auch seine Gitarre mitgebracht. Neben seinem Hit "Sabanas Blancas" gab er noch etwa zehn weitere Stücke aus seinem mittlerweile 12 oder 13 CD-Alben umfassenden Repertoire zum besten. Es war schon ein Mini-Konzert, was da im Wohnzimmer bei Rum und Bier und Wein und all den denkwürdigen kulinarischen Genüssen, die die Organisatorin des Events aufgefahren hatte, vonstatten ging. Mein 60ster wird mir bis an mein Sterbebett unvergesslich bleiben.

Wir trafen Gerardo noch mal ein paar Tage später bei seinem Auftritt im "Fresa y Chocolate" (diesmal mit Band). Leider hat der Ort eine Wartesaal-Akustik, bei der selbst Lautsprecher Probleme haben, Nebengeräusche aus dem Publikum zu übertönen, was besonders bei ruhigen Stücken wie "Amiga mia" ein Ärgernis darstellte. Dass der Konzertabend unter keinem guten Stern stand, wurde spätestens deutlich, als sich jemand von den Zuhörern nach vorn drängte und auf ihn einzureden begann. Es dauerte erstaunlich lange, bis Richard, sein Manager, und einige Combo-Mitglieder den Störer mit sanfter Gewalt von der Bühne wegzogen. Gerardo erzählte uns später sichtlich irritiert, er habe so etwas bei einem Auftritt noch nie erlebt. Der Typ (nach eigenen Aussagen ein Kolumbianer) habe von ihm verlangt, ein Reggaeton-Stück zu spielen und als er, Gerardo, sich geweigert habe, sei der andere aggressiv und beleidigend geworden. Schließlich gelang es – nicht ohne Mühe – den seltsamen, jedoch nicht eindeutig alkoholisierten Zeitgenossen nach draußen zu bugsieren, wo er sich etwa 20 Meter weiter an der nächsten Straßenecke postierte und augenscheinlich wartete. Das unschöne Intermezzo endete damit, dass der Besitzer des Veranstaltungsortes die Polizei anrief, um ein mögliches Risiko für den Sänger auszuschlieίen. Und tatsächlich kam kurz darauf eine Patrouille, die den streitsüchtigen Menschen einkassierte. Mit diesem verstörenden Vorfall war das Konzert natürlich beendet. An Zugaben kein Denken mehr!

Gerardo Alfonso

Gerardo Alfonso, Foto: Cubahora



Renate und ich haben im Laufe all der – mittlerweile 17 Jahre –, die wir regelmäßig die Insel besuchen, keinen anderen "cantautor" so häufig live erlebt wie Gerardo Alfonso. Mehrmals in der "Casa de las Amerikas" und im "Amadeo Roldan", im Museum "José Martí" an der Plaza de la Revolución", auf dem Pressefest des Organs der Deutschen Kommunistischen Partei in Dortmund und weiß der Deubel wo sonst noch. Seine Konzerte sind immer Wundertüten. Nie weiß man im voraus, ob er uns akustisch oder elektrisch kommt, solo mit Gitarre oder einem Flügel, oder mit Begleitband, die je nach Lust und Laune ihres Frontmannes dem Ganzen einen folkloristischen, jazzigen oder rockigen Touch gibt. Kürzlich hat er eine Klassik-CD mit dem Symphonieorchester von Camagüey eingespielt. Die gibt’s noch nicht zu kaufen, aber wir haben ein Exemplar von ihm als Geschenk erhalten. Gerardo beherrscht jedes Genre.



Das Museo de Bellas Artes in Havanna gliedert sich auf in zwei Abteilungen, die ein paar Minuten Fußmarsch von einander entfernt liegen: Die mit den klassischen Kunstwerken befindet sich am Parque Central, die mit den modernen Bildern ist gegenüber der Rückseite des Revolutionsmuseums mit Blick auf die historische Jacht Granma. Letzterer Teil hat eine kleine, aber feine Konzerthalle, die etwa 250 Leuten Platz bietet und stets klimatisiert ist. Es ist einer der wenigen Veranstaltungsorte, wo man als Nichtcubaner seine Eintrittskarte in konvertibler Währung bezahlen muss (in der Regel 15 CUC pro Ticket), aber das ist schon völlig in Ordnung so.

Diesen Sommer waren wir zweimal im "Bellas Artes": zum einen wegen Roly Berrío, einem Trovador, den ich noch nicht kannte. Ich fand ihn und seine Band eingestandenermaßen etwas gewöhnungsbedürftig. In der ersten Hälfte des Auftritts blieb er so im Hintergrund, dass ich, der ich ihn ja nie gesehen hatte, jemand anderen aus der Gruppe für ihn hielt. Bescheidenheit ist ja kein unsympathischer Zug, nur war ich halt ein wenig verwirrt, als er sich dann in der 2. Konzerthälfte als Bandleader "outete". Er arbeitet viel mit Stimmakrobatik (extrem tief, dann wieder extrem hoch, um komische Dialoge zwischen Mann und Frau zu persiflieren). In Cuba steht man sehr auf so was; mein Ding ist es nicht unbedingt. Aber seine Texte sind witzig, sie haben Facetten des Alltags der Menschen zum Gegenstand, und er kam gut an.

Die andere Gruppe – "Yerba Buena" – war uns von einem Konzert in der "Casa del ALBA" vor zwei Jahren schon geläufig. Damals war das Töchterchen des Sängers – Sofía – erst ein halbes Jahr alt, und er hatte der Kleinen einen Song gewidmet, den wir noch in Erinnerung hatten. Inzwischen ist sie 2 ½ und war nach Meinung ihres Vaters alt genug, sich von ihm auf der Bühne besingen zu lassen. Ob das so eine prickelnde Idee war, weiß ich nicht, denn allzu wohl schien sie sich dabei nicht zu fühlen. Dieses Konzert vor vollem Haus diente dazu, das Erscheinen des ersten CD-Albums zu feiern. Es war bereits in den Tiendas zum Verkauf; ich selbst hatte zwei Tage zuvor ein Exemplar erworben. Was hätte näher gelegen, als am Rande des Konzerts einen ambulanten Stand mit sagen wir 100 Stück aufzustellen. Fehlanzeige! Ich frage mich manchmal, was in den Köpfen der Promoter solcher Gruppen vor sich geht. Die Band hat gute Anlagen, einem breiteren Publikum bekannt zu werden. Die Musik geht ins Ohr, erinnert ein bisschen an Moncada und Mayohouacán und ist somit sehr tanzbar. Auf der Textebene wirklichkeitsnah locker, ohne seicht zu sein. Anerkennenswert fand ich "Mujeres Distintas", einen Song, der um Toleranz für gleichgeschlechtliche Liebe wirbt. Hier hat die cubanische Gesellschaft in der Tat noch einiges aufzuarbeiten!

Ein Plusminus-Erlebnis – mit eindeutiger Tendenz zu Minus – war das Konzert von William Vivanco in der "Casona de Linea", was weniger am Protagonisten lag, den ich nicht schlecht fand, als vielmehr am Ort und an den Umständen. Der Eingang zu dem kleinen Amphitheater liegt nicht, wie der Name vermuten lassen könnte, auf Linea, sondern um zwei Straßenecken herum auf der Rückseite des Gebäudes. Das rostige Maschendrahttor, das von einem Zerberus bewacht wird, der darauf achtet, dass sich auch ja keiner vor 21 Uhr Einlass verschafft (wenn offiziell um 20 Uhr Einlass ist), ist von Pflanzen umgeben, die Moskitos anziehen. 80% aller Mückenstiche, die ich mir im Laufe von sechs Wochen in Cuba einhandelte, resultierten aus dieser einen Stunde Wartezeit! Da wir und unsere Freunde in der "cola" (Warteschlange) weit vorn standen, kamen wir in den Genuss, in der ersten Reihe dieser Open-Air-Location Platz nehmen zu können. Von "Genuss" konnte aber nur so lange die Rede sein, bis der Trovador Fernando Becquer, der an diesem Abend als Zeremonienmeister fungierte, die winzige Bühne betrat und die jugendlichen Massen, die keinen Sitzplatz mehr bekommen hatten, aufforderte, doch bitte möglichst alle nach vorn zu kommen (um die vielleicht 20 Quadratmeter zu füllen, die sich zwischen den Sitzreihen und dem Podium befinden), denn schließlich sei doch Party angesagt. Das ließen die sich nicht zweimal sagen und von der ersten bis zur letzten Minute des Konzerts hatten wir tanzende Hintern in Augenhöhe, deren obere Verlängerungen in der einen Hand je eine Bierdose und in der anderen eine Zigarette hielten.

Das Publikum der "Casona" besteht fast ausschließlich aus Halbwüchsigen, die einfach nur Spaß haben wollen. Es ist den Kids von Herzen egal, ob sie von Salsa, Rap oder tanzbarer Nueva Trova beschallt werden. Die Musik könnte auch vom Band kommen. Es würde kaum einem auffallen. Wir waren nicht zum ersten Mal dort und kannten das schon. Solche Orte muss es sicher auch geben, aber wir haben uns finster vorgenommen: in Zukunft ohne uns!
Es tut mir an dieser Stelle leid, dass ich William Vivanco als Musiker nicht gerecht werden konnte. Die "Feierbiester" standen so breitbeinig zwischen mir und seinen Liedern, dass ich am Ende nur noch raus wollte. An anderer Stelle unter anderen Bedingungen – von Herzen gern!

Auch Buena Fe war open air – im Bosque de la Habana, dem naturbelassenen Urwald, der sich beiderseits des Rio Almendares durch die Hauptstadt zieht. Wir kannten bis dahin nur jenes kleine Theater nahe der Flussmündung ins Meer, das für den Ansturm der Fans niemals gerüstet gewesen wäre. Der Park, von dem ich spreche, liegt weiter oben in Marianao. Die Anlage ist sehr schön hergerichtet mit kleinen und großen Pavillons, die einem Fantasy-Film als Kulisse dienen könnten. Eingebettet in riesige Bretterwurzelbäume, davon einige durch Wind oder Blitz gefällt und völlig überkrautet, bieten sich diese rohbehauenen Gebäude in naturfarbenem Graugrün dar. Sie wirken wie vorzeitliche Ausgrabungen. Hier würde man alles Mögliche vermuten: Gnome, Dinosaurier, Harry Potter – doch gewiss keine Bühne für Pop-Konzerte. Aber ebendiese gibt es hier auch und dazu eine gut funktionierende Service-Struktur mit Getränken gegen Moneda Nacional und CUC.

Irgendwie passend zum Ambiente begannen Buena Fe – für cubanische Maßstäbe seltsam pünktlich! – ihren Auftritt mit "Como en el Neanderthal", einem Stück aus ihrer ersten CD "Dejame entrar" (inzwischen sind es mindestens acht). Bereits ziemlich früh brachten sie "A la Muerte", aus dem vorletzten Album "Catalejo" – die härteste Nummer, die sie je gemacht haben, und von da an fraß ihnen das Publikum aus der Hand.

Die Fangemeinde von Buena Fe ist eine Fußnote wert: Wir waren mal zum Jahreswechsel so um 2005 herum in Havanna. Damals hatte die Band gerade ihr zweites Album auf den Markt geworfen, war aber da bereits dermaßen angesagt, dass sie die Sala de Avellaneda im Teatro National an der "Plaza" mühelos füllte. Wenn man in konvertibler Währung zahlt, ist man schon im Vorteil und so hatten wir noch zwei Tickets (ziemlich weit oben auf der Empore) ergattert. Das Durchschnittsalter der Buena Fe-Adepten lag bei ca.14 Jahren. Sie kannten sämtliche Texte auswendig und sangen jeden einzelnen lauthals mit. Wie wir früher "Help" oder "A Hard Day`s Night" von den Beatles.

Diese Kiddies waren nunmehr 5 oder 6 Jahre älter geworden, hatten Bartwuchs bzw. Busen entwickelt und nippten hier und da auch mal an einem Mojito, aber immer kontrolliert. Wir haben jede Menge Begeisterung, aber keinen einzigen sinnlos Betrunkenen erlebt. Auch das ist ein (überaus angenehmes) Aushängeschild von Cubas berühmtester Pop-Band, respektive ihres – immer noch jungen! – Publikums.

Geschätzte zwei oder drei Stücke vor dem geplanten Ende des Konzerts wurde es plötzlich still und gleichzeitig standen wir alle (tausend Menschen oder mehr) in absoluter Finsternis. Apagón (Stromausfall)! Ich bekam im Mondlicht noch schemenhaft mit, wie Israél – Sänger und Chef der Gruppe – versuchte, irgendeine Message an die Menge der Leute loszuwerden, aber ohne Mikro kam er nicht zu uns durch. Nachdem wir uns vergewissert hatten, dass wir alle (wir waren zu sechst) beieinander waren, machten wir uns im spärlichen Licht von zwei Digitalkameras auf, den Ausgang zu suchen, in der Hoffnung, dass der vorbestellte Pontiac, der uns schon hergebracht hatte, für uns bereit stünde. Glücklicherweise war der Ausgang nicht ganz so weit, wie wir es in Erinnerung hatten und den knallroten Oldtimer fanden wir (zu unserer grenzenlosen Erleichterung) auch schnell. Auf unsrer Rückfahrt in die Innenstadt fuhren wir minutenlang durch stockdunkle Straßen, da anscheinend im ganzen Municipio die Energieversorgung platt war. Aber alles in allem: ein schöner Abend.

Wir hatten uns von Deutschland aus angemeldet für die "Serenata de la FIDELidad", eine Veranstaltung der Stiftung Guyasamin anlässlich von Fidel Castros 85. Geburtstag. Diese Stiftung geht auf den berühmten ecuadorianischen Maler und Bildhauer Alfonso Guyasamin zurück – den einzigen Künstler, dem Fidel jemals Model stand und mit dem er sich im Lauf der Jahre eng befreundete.

Wir entschieden uns freilich aus naheliegenden Gründen nicht für das volle Paket (bei dem uns noch einmal erzählt worden wäre, dass es 1959 in Cuba eine Revolution gegeben hat), sondern für die abgespeckte Version mit einem Minimum von drei Übernachtungen (damit das Reisebüro "Amistur" auch an uns noch etwas verdiente).

Dieses "kleine Besteck" hatte neben dem Schlussevent am 12./13. August noch einige andere Goodies im Programm, wie z.B. den Besuch der ELAM (Internationale Medizinhochschule), einen "acto" bei Radio Havanna und einen weiteren beim ICAIC (Cubanisches Filminstitut). Amüsant war, dass wir als einzige Nichtecuadorianer im Bus der Ecuadorianer saßen, was zu der Verwirrung führte, dass man auch uns als Teilnehmer der Delegation Ecuadors begrüßte. Irgendwann winkten wir ab, als andere den Fehler korrigieren wollten. So wichtig war uns unser Deutschsein wirklich nicht. Und tatsächlich saßen wir ja auch ständig mit den Kumpels aus Ecuador an einem Tisch: beim Mittagessen in der "Casa de la Amistad" ebenso wie beim Frühstück im Hotel Riviera.

"El colmo" (der Höhepunkt) der Serenata-Aktivitäten und gleichzeitig das Nonplusultra der musikalischen Sommersaison sollte das internationale Konzert am Abend des 12. August im Teatro "Karl Marx" sein. Nicht nur das cubanische Fernsehen bewarb das Ereignis zu Ehren des Comandante mit tagelangem Vorlauf, auch der venezolanische Sender "TeleSur" wies regelmäßig darauf hin.
Das "Carlos" Marx war erwartungsgemäß proppenvoll. Wir in der fünften Reihe – wie die Vertretung Ecuadors direkt neben uns, denn schließlich gehörten wir zur ecuadorianischen Delegation.

Ich will das 3 ½ stündige Konzert (das von "Cubavision" live übertragen wurde) jetzt nicht von Programmpunkt 1 bis Programmpunkt 25 durchkauen. Die Cubaner hatten überwiegend Leute aufgeboten, bei denen man nicht viel falsch machen konnte wie Raúl Torres, Vicente Feliú oder Candido Fabré. Und Altmeister Daniel Viglietti aus Uruguay – mit seinem leider viel zu kurzen Auftritt – war für mich DAS Highlight des Abends. Es gab viel Qualität bei diesem Event, keine Frage! Aber es gab auch erhebliche Irritationen.

Das fing an mit der Argentinierin und ihrer manierierten Gesangsdarbietung wohlbekannter Themen, bei der man sich schmerzlich bewusst wurde, das Mercedes Sosa nicht mehr da ist.
Das setzte sich fort mit jener Hiphop-Band, die überhaupt nicht "en vivo" auftrat, sondern nur über Video-Leinwände links und rechts der Bühne zu sehen war. Was in aller Welt sollte das denn?

Die Klimax der Peinlichkeiten war wohl der Auftritt einer peruanischen Gruppe, welche das Stück "Donde estás, caballero gallardo?" interpretierte, das den Wechselgesang zwischen dem toten Che Guevara und einer fragenden Frau darstellt. Die Sängerin fummelte bei diesem Lied mit sich aufeinander zu bewegenden und von einander entfernenden Handpuppen herum. Die eine hatte blonde Zöpfe wie die Gretel aus dem Kasperletheater, während die andere an den Räuber Hotzenplotz erinnerte (damit auch jeder im Publikum wusste, wer wer war).

Eine spätere Rückfrage an unsere cubanischen Freunde und Freundinnen ergab, dass (je nach Temperament) bei dieser Performance einige die Augen zum Himmel drehten, indes andere Krämpfe vor lauter Lachen bekamen. Beides sind keine besonders adäquaten Reaktionen auf einen Beitrag zum Lobe Fidel Castros, aber daran müssen nicht die Augenverdreher und die Lacher schuld gewesen sein.

Grenzwertig war der Beitrag einer Bulgarin, die auf das Motto der Veranstaltung aufsprang, indem sie eine "Serenata de la FIDELidad" – in Ermangelung eines Orchesters als Karaoke-Nummer – zum besten gab. "Cuba y Bulgaria – una machete y una rosa": Dieser Ausspruch ihrerseits hat (nachgeäfft mit slawischem Akzent) sicher Aussichten, auf der Insel zu einem ähnlichen Renner zu werden wie bei uns Trappatonis "Ich habe fertig". Dessen ungeachtet tobte unmittelbar nach Ende des Stückes in der Reihe hinter uns der Beifall mit Bravorufen. Die bulgarische Delegation befand sich nämlich in Reihe sechs.

Wenn die letzteren beiden Beiträge unter dem Sinnspruch "Kunst ist das Gegenteil von >gut gemeint<" zu subsumieren (und damit gewissermaßen entschuldbar) sind, so gilt das nicht für Frank Fernandez. Dieser cubanische Pianist ist ein genialer Beherrscher seines Instruments und weiß in jeder Sekunde, was er tut. Leider hat er einen unglückseligen Hang zu egomaner Selbstdarstellung, und als noch unglückseliger – und das gewiss nicht zufällig! – erwies sich die Tatsache, dass gerade er derjenige war, dessen Vortrag die Mitternachtsstunde, die Grenze zum 13. August (Fidels Geburtstag), überschritt. Statt dass Tausende im Saal ein – mehr oder weniger melodisches – Geburtstagsständchen an Fidel anstimmten (was dem sicher gefallen hätte), verdammte man uns, Zeugen der zirzensisch inszenierten Fingerfertigkeit eines Frank Fernandez zu sein. Man hätte glatt glauben können, es gehe um SEINEN Ehrentag und nicht um den des Comandante.

Unsere Freundin (dieselbe, die meinen 60sten plante und vorbereitete) hat den Wunsch von sich gegeben, einen "Frank-Fernandez-Hasser-Club" ins Leben zu rufen. Was sie noch nicht weiß: Es gibt unter ihren Landsleuten bereits etliche Interessenten an einer Mitgliedschaft.

Fazit der Abschlussveranstaltung eines ambitionierten Projekts: Ich weiß nicht, wie viel freie Hand man der Guyasamin-Stiftung dabei von cubanischer Seite gelassen hat, vermute aber, dass die Entscheidungsfreiheit der Ecuadorianer erheblich war, insofern es nichtcubanische Protagonisten betraf. Und ein kulturpolitisches Unterfangen wie dieses wird nicht zwingend am Talent, sondern eher an der "political correctness" festgemacht. Für jeden Kompromiss zwischen der Kunst und dem guten Willen gilt aber auch immer: Man wird unter dem Strich zwangsläufig bei der Mittelmäßigkeit landen.

Raúl Torres im Museo de la Revolución? Na gut, dachten wir uns. Machen wir noch einen Versuch.
Raúl hatten wir zum ersten Mal 1997 beim Festival der Jugend und Studenten in Havanna erlebt, seinerzeit noch mit orangeroter Kurzhaarfrisur. Er galt als großes Talent der Nueva Trova, sang melancholische Lieder wie "Se fue" und "Candil de Nieve" und galt als Protegé des Superstars Pablo Milanés (mit dem sich damals noch etwas anfangen ließ). Tatsächlich machte Pablo letzteres Stück durch seine tolle Stimme in der ganzen spanischsprachigen Welt bekannt, aber es war eine Komposition von Raúl – der Geniestreich eines Anfang 20jährigen!

Etwa zehn Jahre lang hörte man dann nichts mehr von ihm. Er war seinem Vorbild gefolgt und hatte in Europa Wohnsitz bezogen, wohl, um dort umstandsfreier touren zu können. Die Zeit hat ihm künstlerisch nicht gut getan. Ich entsinne mich noch seines mit großem Tamtam angekündigten Konzerts vor wenigen Jahren im Teatro Mella. Es war so überinstrumentiert und verstörend laut, dass man erinnerbare Melodien kaum wahrzunehmen vermochte. Dazu Videos als Breitwandkino über der Bühne. Der volle mediale Hype! Nachdem wir das etwa eine Stunde lang durchlitten hatten, wandten wir uns zum Gehen – und wir waren weiß Gott nicht die ersten. Als wir schon fast draußen waren, schickte Raúl seine Krachmacher in die Pause und spielte allein zwei oder drei akustische Stücke von früher, die ihm dermaßen viel enthusiastischen Applaus eintrugen, dass er die Message vielleicht kapierte. Gegangen sind wir danach aber trotzdem.

Sein diesjähriges Konzert gegen Ende August fand draußen statt. Draußen? Ist ein hermetisch abgeschlossener Innenhof mit 20 Meter hohen Wänden wirklich draußen? Es war für mich die schweißtreibendste Angelegenheit im ganzen Sommer! Der Auftritt dagegen war – man kann es fairerweise nicht anders sagen – ganz o.k.

Die akustischen Gitarren – zwei an der Zahl – kamen für mein Empfinden eine Spur zu grell rüber. Der Percussionist (hinter Raúl und seinem Begleitgitarristen) war so unauffällig, dass man ihn vom Mauerwerk kaum unterscheiden konnte. Immerhin konnten sich die Songs sehen lassen. Einige von ihnen waren mir noch etwas zu anglismenlastig, aber geschenkt. Wenigstens war das wieder ein Raúl Torres, den ich wiedererkannte! Ein Merkmal, das bei kleineren Auftritten wie diesem, bei dem man ihm sehr nahe kam, ins Auge springt, ist seine Schüchternheit, die zuweilen an Autismus grenzen kann.

Das krasse Gegenteil von ihm sahen wir tags darauf im Centro Cultural "Bertold Brecht" in Person von Políto Ibánes. Dieser Typ strahlt – ohne dabei gekünstelt zu wirken! – derart viel positive Bühnenpräsenz aus, dass es für drei Künstler reichen würde.
Die Konzerthalle des "Bertold Brecht" ist ein kreisförmiger Innenraum von vielleicht 25 m Durchmesser. Das Wandmaterial ist teilweise stoffverkleidet und die Akustik (wohlwollend ausgedrückt) "wuschig". Man kann sich bei einer Kellnerin ein Bier bestellen. Man kann es auch wieder "wegbringen". Allerdings sind die (außerhalb des Saales befindlichen!) Klosetts in erbarmungswürdigem Zustand. Alle drei Pissoirs hatten je einen Steinbrocken im Becken liegen mit der Aufschrift "roto" (kaputt), was mich nicht davon abgehalten hat, ... aber ich will jetzt nicht ins Detail gehen.

Políto ist ein Trovador, der eine starke Affinität zum Pop hat, und wenn er und seine Band wollen, kommen sie mühelos auf ähnlich viele Dezibel wie Buena Fe. Die ersten zwei, drei Nummern waren denn auch verdammt laut. Das wurde dann aber netterweise ein wenig nach unten korrigiert. Fünf oder sechs CD-Alben hat er auch schon eingespielt und wir bekamen einen Querschnitt aus seinen Hits geboten. Witzig war, das sich mittendrin die Snare Drum am Schlagzeug aus ihrer Verankerung löste. Völlig unaufgeregt schickte er seine Band zum Reparieren des Teils backstage, derweil er nach der Panne solo ein paar seiner Pianostücke intonierte, die er vermutlich gar nicht eingeplant hatte.
Als die "batteria" wieder funktionstüchtig war, ging der Auftritt normal weiter. Es dauerte allerdings bis zur zweiten Zugabe, bis endlich "Doble Juego" kam, die Titelmusik einer gleichnamigen, vor wenigen Jahren unheimlich populären cubanischen Telenovela und das Sahnestück der Gruppe schlechthin.

So, ich hoffe, ich habe keinen vergessen. Rochy hätten wir nach einigen Jahren wieder mal gern gesehen. Sie ist zwar eine rein reproduzierende Interpretin der Nueva Trova, aber das macht sie richtig gut. Leider erkrankte sie, sodass ihr Auftritt wenige Stunden vor Beginn abgesagt werden musste. Und Angel Quinteros Konzert haben wir schlichtweg verbaselt, was mich ärgerte, denn ihn mag ich wirklich sehr. Normalerweise sind wir über "Radio Bemba" (was kein Radio ist, sondern "Mundpropaganda" bedeutet) oder verlässliche Informanten, die für uns das Kulturangebot nach Lohnendem durchforsten, stets auf dem Laufenden. Diesmal gab es eine Lücke, und so erfuhren wir von dem Konzert einen Tag, nachdem es stattgefunden hatte. Ein Trostpflaster war, dass ich, nachdem ich jahrelang vergebens nach Tonträgern von ihm gesucht hatte, diesmal gleich zwei Quintero-CDs fand.

Der Artikel wäre unvollständig, wenn ich nicht den wunderbaren "Patio del Egrem" erwähnen würde. Dieser unscheinbare Ort – nahe der Ecke San Miguel und Campanario – befindet sich vielleicht drei, maximal vier Minuten Fußweg von unserer Centro-Habana-Wohnung entfernt. Seit etlichen Jahren gibt es dort jeden Mittwoch zwischen 17 und 19 Uhr Trova live und zum Anfassen. Zugegeben, die Trovadores sehen das mit der Anfangszeit nicht immer so eng, aber anderthalb Stunden Spielzeit hat man schon. Um spätestens halb sechs werden die ersten, die möglicherweise noch einen Rum gegen das Lampenfieber trinken oder noch mal Pipi müssen (es gibt immer einige, die zum ersten Mal vor Publikum auftreten) von Bladimir Zamora auf die Bühne gescheucht. Er sowie Fidel Diaz (der seinerseits selber Nueva-Trova-Lieder singt) sind die Gründerväter der legendären Kulturzeitschrift "El Caiman Barbudo", die dieses Jahr einen runden Geburtstag feiern muss, denn Fidel Diaz war andauernd im Fernsehen zu sehen in irgendwelchen Interviews, derweil Bladimir bemüht war, den allwöchentlichen Auftrieb im "Patio" zu kanalisieren.

Es empfiehlt sich dringend, früh zu kommen (eine Viertelstunde vor der Zeit reicht), um einen der vorderen Plätze einzunehmen, denn wer hinten sitzt, hat die notorischen Dampfplauderer, die es auch hier gibt (sie sind eine Pest, die man nicht loswerden kann) zwischen sich und der Bühne.

Besucher zahlen keinen Eintritt. Sie können etwas zu trinken kaufen, aber sie können es auch lassen. Die Kultur kostet hier keinen Centavo. Es gibt – außer den Neulingen – immer einen festen Stamm von grundsoliden Musikern, die sowohl regulär auftreten, als auch unerwartete Absenzen anderer überbrücken können. Yosvani und Samuel sind fast immer da, Ronny, der zwar nicht singt, aber ein sagenhafter Gitarrist ist, hat noch nie gefehlt, wenn wir dort waren. Auch landesweit bekannte Leute treten auf. Ich erinnere mich an Augusto Blanca und Manuel Argudín. Ein jeder von ihnen hat zwar irgendwo seine eigene Pena (seinen mehr oder weniger regelmäßigen Auftrittsplatz, wo man zwanzig cubanische Pesos für die Musik abdrückt), aber der "Patio del Egrem" ist Kult und er ist unentgeldlich. Die Künstler kommen hierher, weil sie die Atmosphäre mögen, und wenn sie ein paar Gratiscocktails kriegen, so ist ihnen das Lohns genug.

Wir sind als regelmäßige Gäste im Sommer mittlerweile akzeptierter Teil des Inventars und werden jeden Mittwoch, wenn wir in Havanna sind, per Handschlag begrüßt. Es hat ziemlich lang gedauert, bis mir der Gedanke kam: Moment mal! Kultur ist unheimlich wichtig in Cuba und darum ist sie subventioniert bis zum geht nicht mehr. Wir als devisenträchtige Ausländer sind in diesem großen Plan überhaupt nicht vorgesehen. Man nimmt uns als eine Kuriosität, die durch alle Raster fällt, irgendwie duldend hin. Aber es ist nicht recht, dass wir so tun, als wären wir Cubaner, nur weil wir Trova-Fans sind.

Mir kam die Idee, etwas zu spenden; 30 CUC oder so schwebten mir vor. Renate winkte ab. Eine Sachspende, meinte sie, wäre besser. Mir fiel ein, welche Rum-Marke wir ständig auf Bladimirs Tisch stehen sehen. Die Drinks – versetzt mit Cola oder einem anderen "refresco" – werden von den Trovadores, die ihr Tagewerk vollbracht haben, gern genommen. Wenn 19 Uhr erreicht sind, ist die vormals volle Flasche in der Regel leer. Wir kauften also drei "Ron Mulata" (ein Zeug der gehobenen Mittelklasse) und drückten an unserem letzten Mittwoch die Einkaufstüte mit dem Alkohol Bladimir in die Hand. Sozusagen als Geste, begleitet von "wir haben nie Geld bezahlt" und bla bla bla, "dabei so tolle Musik" und pi pa po. Bladimir nahm die milde Gabe schmunzelnd entgegen, erwähnte sie auch über Mikrophon, bevor das Konzert losging, machte aber weiter kein Aufhebens davon, was uns nur recht war. Immerhin fiel mir auf, dass die Trinkfrequenz an diesem Nachmittag höher war als sonst. (Was man hat, das hat man!) Aber das sollten unsere trinkfesten musikalischen Freunde ganz mit sich selbst ausmachen.

Es gefällt uns, dass dieser Teil der Stadt – sozialer Brennpunkt –, den man euphemistisch als "parte folklorico" Havannas bezeichnet, einen so tollen Kulturstandort hat wie den "Patio del Egrem". Möge er den Habaneros (und uns) noch lange erhalten bleiben!

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CUBA LIBRE 4-2011