In memoriam Maria Rojas

Maria war eine Kämpferin, konsequent, mit klaren Prinzipien. Sie hat sich selbst ein Höchstmaß an Disziplin auferlegt, ohne jemals engstirnig oder dogmatisch zu werden. Im Gegenteil, die Bereitschaft zu lernen und den Wunsch, verstehen zu wollen, prägten sie, verbunden mit dem Willen, Erkenntnis und Bewusstsein zu vermitteln. Das historische Gedächtnis war für sie die Bedingung für aktuelle Analysen. Ihr Projekt "pensiamento propio" in Chile ist dafür ein Beispiel. Dabei hatte sie die Fähigkeit zu überzeugen und Einsicht zu wecken, wobei sich kognitive und emotionale Intelligenz verbanden. Sie hielt die Werte der Solidarität nicht nur hoch, sondern lebte sie auch – mit offenem Herzen und klarem Blick. Sie war bereit, mit allen Menschen zusammenzuarbeiten- bis auf Lügner und Opportunisten, weil sie an die Menschen glaubte und ihre Fähigkeit zu solidarischem Handeln.

Sie war eine radikale Linke, die auch in schwierigsten Zeiten versucht hat, Kräfte zu sammeln und Perspektiven zu entwickeln – unermüdlich und realistisch. Das in Sinne Ches, nämlich das schier Unmögliche zu wollen: Die Utopie einer gerechten Gesellschaft, nicht nur materiell, sondern dergestalt, dass die verschütteten Bedürfnisse der Menschen durch die Verwirklichung ihrer produktiven Kräfte sich entfalten mögen.

Marx schrieb in den Grundrissen der Politischen Ökonomie, dass der Reichtum einer Gesellschaft in "der Universalität der Bedürfnisse, Fähigkeiten. Genüsse, Produktivkräfte etc. der Individuen" bestehe, damit "alle menschlichen Kräfte als solche(r), nicht gemessen an einem vorhergegebenen Maßstab, zum Selbstzweck" würde. Diese Vision trifft Marias Vorstellungswelt genau, denn so könnten sich die Menschen zu ihrer wahren Gestalt erheben und müssten nicht in ihrer entwürdigten Form verharren. Die durch Armut, gesellschaftliche wie kulturelle Ausgrenzung und Konsumorientierung entfremdeten Menschen waren Mittelpunkt ihrer Bemühungen. Sie vertrat die Auffassung, dass die Menschen mehr zu verlieren hätten als ihre Ketten, nämlich "das Leben, das Lachen, den Blick aufs Meer, die Freude, Kinder heranwachsen zu sehen.", so in einem Brief an eine Freundin. Ihr Leitspruch war "se puede". Selbst die Grenzen, die ihr der Krebs gesetzt hat. wollte sie nicht akzeptieren.

1998 schrieb sie in einem Brief: "Über mir schwebt das Damoklesschwert der Metastasen." 2000 wurde dann ein Tumor festgestellt, dem sie mutig und optimistisch entgegentrat. 2003 folgte die schreckliche Gewissheit: Knochenkrebs. Dann ertrug sie qualvolle Chemotherapien, aber auch in den folgenden Jahren blieb sie politisch aktiv und hielt Vorträge, zuletzt im Oktober 2007 in Berlin und Hamburg.
Sie hat viele Menschen erreicht und beeindruckt. Sie hinterließ bleibende Spuren. Ihr Strahlen bleibt unvergessen. In diesem Sinne ist sie bei uns und wird bleiben, solange wir an sie denken.

Zu ihrem Leben

Sie wurde im Dezember 1950 in Santiago de Chile in eine wohlhabende Mittelschichtfamilie hinein geboren und lernte früh, gesellschaftliche Ungerechtigkeit zu erkennen und sich nicht damit abzufinden. Sie studierte Medizin und schloss sich der radikalen Linken in Chile an, nahm aktiv am Umgestaltungsprozess der Allende-Ära teil, ging nach dem Putsch Pinochets vom 11.September 1973 in den Untergrund. 1974 folgten Verhaftung, Folter, Gefängnis.1976 wurde sie im Rahmen einer Amnestie freigelassen und nach Deutschland ausgeflogen, wo sie sich an der Solidaritätsarbeit für Chile beteiligte.
Maria Rojas

Der selbstgewählte Ort des Exils wurde Cuba, wo sie bis zu ihrem Tod am 13.März 2010 lebte. Bereits kurz nach ihrer Ankunft wurde ein Krebsleiden festgestellt. Seither verstand sie sich als doppelt Überlebende. Nach ihrer sichtbaren Genesung leitete sie die Casa Memorial Salvador Allende in Havanna, die während der Diktatur Solidaritätszentrum war, gestaltete sie zu einer Stätte der Erinnerung, hielt das Gedächtnis an Allende aufrecht und dokumentierte die Barbarei und den Widerstand nach dem Putsch.




Sie setzte ihre politische Arbeit in Chile und Deutschland fort. Hervorgeheben seien ihre Vortragsreisen zum 25. und 30 Jahrestag des Putsches in Deutschland, ihr Beitrag auf der Rosa Luxemburg Konferenz 2001 in Berlin und ihre letzen Vorträge 2007 in Hamburg und Berlin, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt schon von der fortschreitenden Krankheit gezeichnet war. Die verbleibende Zeit von wenig mehr als 2 Jahren waren vom Kampf gegen den Krebs gekennzeichnet, dem sie nun erlegen ist.

Logo CUBA LIBRE Inge B.

CUBA LIBRE 2-2010