Fünfzig Jahre Revolution

In ein paar Monaten, am 1. Januar, wird die cubanische Revolution 50 Jahre alt. Jubiläen sind immer ein Anlaß für Rückblicke, aber auch für Ausblicke in die Zukunft. Bei Revolutionen sicherlich noch mehr als bei anderen Jubiläen, allein schon dadurch, dass erfolgreiche Revolutionen eher dünn gesät sind.

Ein halbes Jahrhundert lang ist Cuba für den amerikanischen Kontinent eine erreichbare Utopie gewesen, das überzeugenste Beispiel für eine bessere Welt. Die kleine Insel in der Karibik, arm und unterentwickelt, einer Blockade und dauernden Aggressionen ausgesetzt, hat mit all ihren Unzulänglichkeiten auf dem Weg zum Sozialismus gezeigt, was ein Volk erreichen kann, wenn es sein eigenes Schicksal in die Hand nimmt.
Die cubanische Revolution ist jedenfalls sehr lebendig für ihr Alter und sie ist es, weil die Cubaner und Cubanerinnen und viele Menschen auf der Welt wollen, dass sie es weiterhin bleibt.

Die siegreiche Revolution hat sich damals schnell radikalisiert, aus einer Eigendynamik heraus, weil die immer weiter ansteigende Bedrohung sie dazu zwang.
Dies Bedrohung mündete in die Allianz mit der Sowjetunion, eine Allianz, die ihre Entwicklung auf lange Zeit hin begleitete und deren Spuren bis heute vorhanden sind. Aber dass die Revolution so weit gekommen ist, verdankt sie ihren eignen Kräften.
Um sie zu erhalten, müssen die zukünftigen Generationen weiterhin kreativ und konsequent in der Umsetzung sein.

Das ist die große Herausforderung für die Zukunft, denn an der Jugend sind die zwei Jahrzehnte "Sonderperiode" nicht spurlos vorbeigegangen und wenn auch immer noch nicht bei der Mehrzahl, so doch bei einer beunruhigenden großen Anzahl von Jugendlichen zeigt sich eine gewisse Apathie, was das politische Handeln angeht. Die Jagd nach Statussymbolen wie Markenkleidung und –Schuhwerk, Goldkettchen, modischen Sonnenbrillen und dergleichen sowie die Erwartung des nächsten Discoabends spielen für viele Halbwüchsige Cubas eine beträchtliche Rolle. Wenn wir den Begriff Jugend ein wenig weiter fassen und darunter auch solche subsumieren, die heute, sagen wir, Mitte 20 sind, so finden wir jene Turitaxi-Fahrer, die mit notorisch kaputtem Taxameter (und mit staatlichem Benzin) Fahrten auf eigene Rechnung machen. Wir finden dabei auch Individuen, die illegale Mauscheleien nicht etwa als Zubrot zu ihrem Arbeitslohn verstehen, sondern die – schlimmer – jede Form von Arbeit durch kleinkriminelle Energie ERSETZT haben.

Die Gefahr, die von einer politisch immer desinteressierten Jugend für den Fortbestand Cubas ausgeht, ist nicht zu unterschätzen, denn politische Gleichgültigkeit ist die Basis, die den Kapitalismus gedeihen läßt.
Das wissen wir hierzulande nur zu gut. Die Fernsehprogramme müssen nur banal genug sein, das Interesse der Jugendlichen muss nur auf die oberflächlichen Dinge gelenkt werden, und schon ist es ein Leichtes, sie in politisch Abstinente zu verwandeln, die nur noch zwanghaft konsumieren. Sich mit gesellschaftlichen und politischen Fragen zu befassen, wird ihnen von den Medien als zu kompliziert und zu wenig unterhaltsam dargestellt (und gegen RTL oder Sat1 stehen bei uns engagierte Pädagogen in der Schule auf verlorenem Posten; sie sind viel zuwenig bunt und schrill).

Nun hinkt der Vergleich Cuba – BRD in mancherlei Hinsicht. Anders als bei uns in der sogenannten "freien westlichen Welt" ist in Cuba politische Gleichgültigkeit nicht von "grauen Eminenzen" wirtschaftlicher Macht hinter den Politikern politisch gewollt. Anders als bei uns ist man in Cuba durchaus bemüht, bei den Heranwachsenden politisches Bewußtsein zu fördern; es stellt sich dort angesichts der vielen Adressaten, die man nicht mehr erreicht, allerdings die Frage, ob man das nach all den Jahren immer noch mit tauglichen Mitteln tut.

Noch einmal: Das kapitalistische System lebt davon, dass Jugendliche der Politik indifferent gegenüberstehen. Der Sozialismus dagegen braucht, wenn er weiter existieren und sich weiter entwickeln will, eine politisch bewusste Jugend, die sich aktiv als kollektiver Ideengeber oder als Umsetzer von Ideen bei der Lösung von Alltagsproblemen einbringt. Die Initiativen, zig Tausende von Jugendlichen als SozialarbeiterInnen auszubilden oder andere als "emergentes" vor bis auf 15 Schüler verkleinerte Klassen in den Schuldienst zu berufen, gehen noch auf Fidel zurück und sind gar nicht lange her. Es waren Aktionen mit gewaltiger Resonanz, die eine ganz erhebliche Anzahl desorientierter junger Leute von der Straße holten und sie in die cubanische Gesellschaft reintegrierten. Ans solchen konzeptionell "großen Würfen" mangelt es vielleicht im Moment etwas. Sie dürfen aber nicht aufhören, nur weil sich der alte Comandante aus vernünftigen Gründen zurückgezogen hat, denn den Sozialismus für die cubanischen Jugendlichen attraktiv zu halten, wird nur dann gelingen, wenn man ihnen das Gefühl vermittelt, dass sie entscheidend am sozialistischen Projekt mitarbeiten können.

Von Beginn an ist es der Revolution immer gelungen, die Jugend einzubinden. Tausende von Jugendlichen, manche fast noch Kinder, verteilten sich über die ganze Insel, um insbesondere die ländliche Bevölkerung zu alphabetisieren. Auch die Solidarität mit anderen Völkern war von Anfang an Teil der Revolution. Als Cuba selbst noch kaum Ärzte hatte und die Revolution sich noch kaum konsolidiert hatte, schickte sie schon medizinische Hilfe für das um seine Unabhängigkeit gegen die französische Kolonialmacht kämpfende Algerien. Damals begann der Internationalismus, der bis heute junge und alte Cubaner in alle Länder gehen lässt, wo sie gebraucht werden.

Internationalismus

Neben der unmittelbaren Humanität – dies war z.B. der militärische Internationalismus, den Cuba mit der Intervention in Angola praktizierte, die zwar zu vielen (auch eigenen) Toten führte, doch eben auch zu Namibias Unabhängigkeit und zur Abschaffung der "Apartheid" in Südafrika – ist es vor allem der unmittelbare Humanismus, für den Cuba in der gesamten 3. Welt berühmt geworden ist: Sei es die Alphabetisierungskampagnen "Yo si puedo", mit der Pädagogen der Insel bis hin zu den Maori von Neuseeland Erfolge feierten, sei es das Projekt "barrio adentro", mit dem Tausende cubanischer Ärzte und Ärztinnen das Elend der Ärmsten der Armen des venezolanischen Volkes mildern, deren Behandlung deren eigene Landsleute mit entsprechender Ausbildung, die selbstredend aus den gehobenen Schichten kommend, als "nicht zumutbar" empfinden.

Wer zählt die Patienten und Patientinnen in gottvergessenen Ländern wie Haiti, Honduras und Guatemala, in denen medizinisches Personal aus Cuba tätig ist, von gleichsam aufgegebenen Regionen des afrikanischen Kontinents einmal ganz zu schweigen?
Cuba hatte monatelang viele helfende Hände in der Region der Erdbebenopfer von Pakistan, in Höhen und klimatischen Zonen, wo hinzugehen richtig wehtut. Weiß das hier jemand (über die normalen Medien)?
Die Bevölkerung der Länder, die es betrifft, weiß es jedenfalls und damit ist die Feigheit der EU, die sich darüber vornehm (und gegenüber den USA den Schweif zwischen den Pfoten) in Schweigen hüllt, von zweifelhaftem Nutzen. Der Versuch, Cuba von diesen Leuten mithilfe einiger Dutzend "Gewissensgefangener" zu diskreditieren, wird sie eher wenig beeindrucken.

Aber Cuba schickt nicht nur hochqualifiziertes Personal in Drittweltstaaten, die seiner Hilfe bedürfen; es gibt auch Tausende von jungen Leuten aus solchen Ländern, die in Cuba gratis studieren, überwiegend aus Lateinamerika, aber beileibe nicht nur. Dadurch soll vielen ein Studium ermöglicht werden, die sich das in ihren Herkunftsländern niemals leisten könnten, Intendiert ist zuallererst, dass die Armen dieser Länder von der Bildung und Ausbildung der Absolventen später profitieren. "Nebenprodukt" von deren jahrelangem Aufenthalt in Cuba wird aber in den weitaus meisten Fällen ein Multiplikatoreneffekt sein, der den cubanischen Internationalismus und das Beispiel der Solidarität unter den Menschen in anderen Ecken der Welt verbreitet. Dies und nicht zuletzt eine andere Sichtweise der Dinge.

Cubas Revolution – Hoffnung für Lateinamerika

Unser bolivianischer Freund Alfredo, der in Havannas Technischer Hochschule CUJAE seine Ausbildung zum Ingenieur macht, entwarf bei unseren jüngsten Treffen eine interessantes Bild, in dem er sagte, Cuba sei für die ausländischen Studenten aus Entwicklungsländern so etwas wie ein "Mirador", also eine Aussichtsplattform, ein erhöhter Punkt, von dem aus man die Dritte Welt quasi von oben betrachte und die Mechanismen, die zu ihrer Verelendung führen, erst richtig mit geschärftem Blick zu verstehen lerne.
Es geht aber auch darum, die sozialistische Revolution zu vertiefen und das ist auf lange Sicht nur möglich, wenn sie sich ausdehnt, wenigstens nach Lateinamerika hin.
Ansonsten besteht weiterhin die Gefahr, dass sie sich gezwungen sieht, wie in den 90er Jahren, weitere Mechanismen der Marktwirtschaft anzuwenden, um zu überleben. Irgendwann richten sich dann einmal die damit verbundenen Verwerfungen gegen die Revolution selbst und stärken die pro-kapitalistischen Sektoren innerhalb der cubanischen Gesellschaft. Eine kleine Insel ohne wesentliche wirtschaftliche und materielle Ressourcen wird, ganz allein auf sich gestellt, irgendwann im kapitalistischen Ozean Schiffbruch erleiden.

Das war Cuba immer bewußt und in den 60er und 70er Jahren unterstützte es den Kampf dort, wo man glaubte, es könnte sich eine revolutionäre Situation entwickeln – Che Guevara in Bilivien, Maurice Bishop in Grenada, die Sandinistas in Nicaragua und die FMLN in El Salvador. Aber alle diese sozialen und revolutionären Projekte wurden zerstört, hauptsächlich in folge der gewaltsamen Politik des US-Imperialismus, aber auch als Folge von Irrtümern innerhalb der entsprechenden Bewegungen und der Veränderung der Kräfteverteilung nach dem Auflösen der Sowjetunion.
Aber man unterstützte auch die Regierungen der Unidad Popular in Chile, die Möglichkeit, dass die Linke auf friedliche Weise die Regierung übernehmen und von dort aus die rechte Oligarchie bekämpfen könnte. Wie wir alle wissen, ist dieser versuch grausam fehlgeschlagen.
Schon damals erkannte Cuba die Möglichkeit an, dass es auch innerhalb des Militärs Sektoren geben könne, mit denen soziale Projekte zu verwirklichen sind. Deswegen half man auch den von Militärs angeführten sozialen Reformregierungen von Velasco Alvarado in Peru, Omar Torrijos in Panama und Torres in Bolivien. Nichts anderes hat Cuba im Falle Hugo Chávez zwanzig Jahre später getan.

Zu Beginn der 90er Jahre beginnt für Cuba eine neue Etappe, die bis heute andauert. Sie geht einher mit dem Kampf der sozialen Bewegungen gegen die neoliberale Politik und den Wahlerfolgen der linken und progressiven Kräfte in Lateinamerika. Die aktuelle günstige Situation ist nur möglich geworden, weil die cubanische Revolution standgehalten hat. Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus gingen viele Linke Lateinamerikas und Europas auf Distanz zu Cuba. Man wollte nichts mehr damit zu tun haben, weil Cuba irgendwie mit dem Modell Sowjetunion in Verbindung gebracht wurde. Diese Etappe haben wir auch als Organisation am eigenen Leibe zu spüren bekommen.
Plötzlich waren ehemals Solidarische nicht mehr solidarisch, sondern "kritisch solidarisch", und zwar mit einem solchen Schwergewicht auf "kritisch", dass die Solidarität mit bloßem Auge kaum mehr zu erkennen war. Es war auch die Zeit, in der die "taz", die einmal riesige Spendenaufrufe zum Ankauf von "Waffen für El Salvador" geschaltet hatte, ihr Linkssein auf gruselige Weise neu definierte, indem sie etwa eine Metamorphose vom Peace-Zeichen zum Mercedesstern veröffentlichte, sicherlich originell, künstlerisch wertvoll und auch ironisch gebrochen – alles geschenkt! -, aber in der Quintessenz bereits ein Vorgeschmack dessen, was von dieser Zeitung heute noch übriggeblieben ist: die zynische "Erkenntnis", dass linke Utopien eine notwendige Entwicklungsphase seinen, die aber mit der (sogenannten) Reife des Alters verblassen müsse.

Doch zur Überraschung vieler hat Cuba auch diese schwere Zeit überlebt und in Lateinamerika eine neue Etappe eingeläutet. Zusammen mit Lula hat Fidel 1990 das begonnen, was später unter dem Namen Foro Sao Paulo eine wesentliche Rolle im Prozess der Umstrukturierung der Linken gespielt hat. Gleichzeitig haben cubanische Organisationen mit ihren Schwesterorganisationen auf dem ganzen Kontinent des Kampf gegen das von den USA lancierte Freihandelsabkommen ALCA initiiert.

Jetzt ist Cuba eingebettet in ein Lateinamerika, in dem die Linke nicht mehr nur aus der Opposition um die Macht kämpft, sondern in immer mehr Staaten tut sie dies von der Regierung aus. Für diese Staaten geht es jetzt darum, von der Regierungs- zur Machtausübung zu gelangen und an einem Punkt mit dem Kapitalismus zu brechen und eine neue sozialistische Gesellschaft aufzubauen.
Für Cuba geht es darum, das Erreichte zu erhalten und auszubauen und im Verbund mit den anderen Ländern des Kontinents des Sozialismus zu schaffen.

Dabei steht Cuba vor immer neuen Herausforderungen

Cubas Bevölkerung vermindert sich. Zwar noch nicht dramatisch, aber die Tendenz ist klar. Einer konstant geringeren Geburtenrate steht eine Lebenserwartung gegenüber, die bei den Männern bei 76, bei den Frauen bei 80 liegt, also im geschlechterübergreifenden Schnitt bei 78 Jahren. Damit befindet sich Cuba in der statistischen Nachbarschaft von Ländern wie Frankreich, Italien, Norwegen oder Großbritannien, denn das demographische Phänomen ist eigentlich typisch für entwickelte Länder. Cuba hat damit – Als Entwicklungsland! – quasi ein "Luxusproblem" am Hals, das darin besteht, dass zunehmend weniger in Arbeitsleben treten als solche, die es als künftige Pensionäre verlassen. Das Renteneintrittsalter hat in Cuba seit 45 Jahren bei 60 für Männer und bei 55 für Frauen gelegen. In seiner Rede vom 11. Juli 2008 vor der Nationalversammlung kündigte Raúl Castro an, Cuba werde wohl nicht länger umhin können, diese Grenze für beide Geschlechter um je fünf Jahre nach hinten zu verschieben, wenn es weiter imstande sein will, die Renten zu bezahlen. Flankierende Maßnahmen hierzu sollen darin bestehen, Zweittätigkeiten zu ermöglichen und bereits Pensionierte (etwa Lehrer und Lehrerinnen) dazu aufzurufen, eine Rückkehr ins Arbeitsleben in Erwägung zu ziehen. Raúl thematisierte auch das Problem, dass enorm viele Dinge des täglichen Bedarfs in Cuba subventioniert sind und sprach in diesen Zusammenhang von der "absurden Lüge" wonach der Durchschnittslohn in Cuba bei umgerechnet 17 Dollar liege. 436 Peso Moneda Nacional geteilt durch 25 (der Wechselkurs des Peso Convertible). Dieser Milchmädchenrechnung westlicher Medien hielt er entgegen, dass allein der genormte Warenkorb, den man für 118 cubanische Pesos erhalte, also gerade mal ein gutes ¼ der durchschnittlichen Monatseinkünfte, bereits dem realen Wert von 61 US-Dollar entspreche. Er fügte an anderer Stelle hinzu: "Ich habe vor Wochen angefragt, wie viele Sachen in diesem Land gratis oder subventioniert sind. Es sind so viele, dass ich bis jetzt noch auf die Antwort warte."

Unerwähnt in seinen Ausführungen blieben übrigens die lächerlichen Preise für Wasser, Gas und Strom, Kino- und Theaterbesuche oder sportliche Events. (Schreiber dieses haben vor Jahren einmal eine mehrstündige Boxveranstaltung mit Weltmeistern und Olympiasiegern für insgesamt schlappe vier Peso Cubano – umgerechnet nach heutigem Kurs etwa 15 Eurocent – miterlebt. Ohne Anrea Bocelli im Vorprogramm, wie wir zugeben müssen.)

Eine hochinteressante Kernaussage dieser Rede Raúls war: "Sozialismus bedeutet soziale Gerechtigkeit und Gleichheit, aber Gleichheit der Rechte und der Möglichkeiten, nicht etwa Gleichheit der Löhne. Gleichheit ist keine Gleichheit mit einem –ismus am Ende, denn wäre es so, würde das letztlich auch nur eine Form von Ausbeutung darstellen, nämlich die des guten Arbeiters durch den schlechten." Das hoch offizielle Eingeständnis, dass auf diesem Sektor Missstände existieren, ist bemerkenswert und nur ein weiterer Beleg dafür, dass Dinge, die in Cuba nicht so sind, wie sie sein sollten, sich mittlerweile im offenen Diskurs befinden. Dies will nicht heißen, daß Fidel dem System immanente Diskussionen unterdrückt hätte; eher war es so, dass Cubas Medien sie in falsch verstandenem "vorauseilendem Gehorsam" außen vor ließen. Raúl reißt solche Fragen indes ganz offensiv an. Das unterscheidet ihn von seinem Bruder und Vorbild. In Bezug auf die Landwirtschaft Cubas präzisierte er, dass "das Land, die Ressourcen und jede nötige Hilfe in Zukunft desto mehr denen zuteil würden, je effizienter sie produzierten, unabhängig davon, ob es sich um ein großes Unternehmen, eine Kooperative oder einen einzelnen Campesino" handele. In diesen Zusammenhang sagte er, dass 75% Städtern nur 25% Landbewohner gegenüber stünden und man jetzt dazu übergehen müsse, "das Land in die Stadt zu holen, statt die Stadt aufs Land zu schicken".
Ein anderer Kernsatz seiner Ausführungen vom 11. Juli war: "Eine Harmonie zwischen der Planung und der Durchführung ist essentiell im Sozialismus." Dies war Ausgangspunkt einer schneidenden Kritik, wonach ein hoher Anteil an Rohstoffen für (subventionierte) Mahlzeiten an staatlichen Arbeitsplätzen einfach spurlos verschwindet, und dies angesichts unaufhörlich ins Uferlose steigender Lebensmittelpreise. Für Letzteres nannte er mehrere Beispiele: u.a. dass der Preis für eine Tonne Milchpulver binnen vier Jahren von 2.100 $ auf 5.200 $ geklettert sei und – ganz extrem – der für eine Tonne Reis binnen eines einzigen Jahres (!) von 435 $ auf 1.100 $. Im Kontext dieser Entwicklung zitierte es aus der Reflexion Fidels vom 28. März 2007: "Drei Milliarden Menschen in der Welt werden zu einem vorzeitigen Tod durch Hunger und Durst verurteilt."

Der möglichst sparsame Umgang mit allem, was man habe, sei die direkteste und machbarste Methode, zum eigenen Überleben, wird der Comandante weiter zitiert.
Dass dabei schnöder Diebstahl das Kontraproduktivste ist, was sich denken lässt, versteht sich von selbst. Zu dieser Art von Raub meinte Raúl abschließend: "Das sind unsere eigenen Probleme. Andere werden ihnen in Zukunft folgen. So ist das Leben. Aber jedes mal, wenn wir etwas entdecken, das schlecht gemacht wird, müssen wir ohne Pause daran arbeiten, es zu eliminieren. (...) Widmen wir uns in Bescheidenheit und ohne Fanfaren, jeder an seinem Platz, der täglichen und strikten Erfüllung dessen, was notwendig ist."

Diese Beispiele allein schon zeigen, welchen Herausforderungen sich Cuba jeden Tag, unter den Bedingungen des Weltmarktes, unter den Bedingungen der Blockade stellen muss. Wenn dann noch Naturereignisse wie die beiden Hurrikane mit ihren unvorstellbaren Verwüstungen und Schäden hinzukommen, sprengt es jede Vorstellungskraft, wie es einem Land gelingen kann, immer wieder mit neuem Elan weiterzumachen und niemanden auf der Strecke zu lassen.

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Renate und Ulli Fausten

CUBA LIBRE 4-2008