Kritik ohne Diskussionsbedarf

Die Buchmesse von Havanna im Spiegel deutscher Medien

In der Anmoderation zu einem ARD-Bericht über die Buchmesse hieß es: "In Kuba ist sie ein Großereignis, im Rest der Welt wird sie vermutlich kaum wahrgenommen." Nun, allzu üppig war die Wahrnehmung tatsächlich nicht. Dass man aber doch zumindest manches dazu fand, daran hat vielleicht gerade die Eiszeit zwischen dem Veranstalterland und dem Gastland einen gewissen Anteil. Immerhin bot der politische Knatsch hinreichend Schreibstoff.

Harald Neuber konstatiert, dass die 35 ausstellenden Verlage "keineswegs kritiklose Befürworter der kubanischen Politik" seien und befragte für den "Freitag" (08) einige ihrer Vertreter zu "den Vorwürfen, die Teilnehmer würden mit ihrer Präsenz Menschenrechtsverletzungen beschönigen".

Hanna Mittelstadt von der Edition Nautilus z.B. (die im Interview mit dieser Zeitung auf ihre eigene "kritische Haltung zu Kuba" hinweist) hatte drei Tage vor ihrer Abreise ein Fax vom "P.E.N. Zentrum Deutschland" erhalten, in dem problematisiert wurde, dass sie ihre Reise "trotz der jüngsten Unterdrückungsmaßnahmen gegen Schriftsteller und Intellektuelle in Kuba" antreten wolle. Dem Schreiben beigefügt sei "eine Liste mit Namen" gewesen. Als sie um mehr Informationen gebeten habe, sei ihr wenige Stunden vor Abflug eine neue Liste zugeschickt worden - "durch den Haftort und die Höhe der Haftstrafe ergänzt".

Neuber führt weiter aus: "Auf Diskussionsbedarf lasse das kaum schließen, sagt Mittelstadt." Das tut es seitens des P.E.N. Wohl in der Tat nicht, denn sonst hätte er wenigstens versucht, die cubanische Sicht der Dinge argumentativ zu entkräften.

Auch der Vertreter des Frankfurter Zambon Verlages war unter den Befragten. Und nun sollte man genau auf Neubers Wortwahl achten, denn sie ist schon einen Zungenschnalzer wert: "Auf die Menschenrechtslage angesprochen, lehnt sich der Verlagschef Guiseppe Zambon gelassen zurück."

Ist das nicht wunderbar? Der Verlagschef kann jetzt sagen, was er will. Alles, was er sagt, ist von vorn herein diskreditiert, denn wenn es um die Menschenrechte geht, lümmelt man sich nicht so ostentativ in der Gegend herum, sondern setzt gefälligst ein betroffenes Gesicht auf.

Und (Obwohl es nach dieser genialen Einführung eigentlich keine Rolle mehr spielt) was hat er gesagt?

Unter anderem, "tatsächlich sei doch nur einer der Inhaftierten, Raúl Rivero Castaneda, ein Schriftsteller gewesen".

Nein, es ist an dieser Stelle NICHT gleichgültig, ob es sich um Intellektuelle handelt oder nicht. Die deutsche Medienkampagne hat allzu häufig explizit darauf abgehoben, dass die Dissidenten "Intellektuelle" oder "Literaten" seien. Und das Engagement etwa des P.E.N. In dieser Sache steht und fällt mit der Behauptung. Falls sie sich als unzutreffend erweist, kann sich der Autor des Brandbriefes, Johano Strasser, aus seiner Gefangenenliste einen Papierhut basteln.

Es besteht zweifellos schon ein gewisser Unterschied zwischen 75 Intellektuellen und einem einzigen. Was Zambon sagt, deckt sich mit der cubanischen Version. Bemerkenswert hierbei ist, dass ich niemals eine Gegenrede zu dieser Version gehört oder gelesen habe. Woran mag das nur liegen?

Des weiteren nennt es der Frankfurter Verlagschef eine "Tatsache, dass die Angeklagten von der US-Regierung für den Aufbau eines Nachrichtennetzes bezahlt wurden".

Harald Neuber fügt sofort hinzu: "Ein solches Urteil teilen nicht alle Anwesenden." Als Beleg macht er sich Wolfram Adolphi von der Rosa-Luxemburg-Stiftung dienstbar, der die Urteile als "übertrieben" kritisiere.

Warum konstruiert Neuber hier einen Widerspruch?

Mann kann sehr wohl die Verurteilungen mittragen und gleichzeitig an den Urteilen Kritik üben. Das scheint mir auch Adolphi zu tun, denn sonst hätte er sie etwa "haltlos" genannt. Etwas, das nur "übertrieben" ist, hat aber durchaus einen Halt, an dem es sich festmacht.

Es wäre begrüßenswert gewesen, wenn Neuber die leidige Diskussion, statt sie genau an dieser Stelle gleich wieder abzuwürgen, einmal auf den Punkt gebracht hätte.

Die FG-Zeitschrift "Cuba Libre" ist sich sicher nicht "über jeden Verdacht der politischen Nähe zur Castro-Regierung erhaben" (und will das auch gar nicht sein), aber die Urteile wurden auch innerhalb der Freundschaftsgesellschaft heftig diskutiert, und es gab gewiss unter uns nicht wenige, die sie für "übertrieben" hielten. Über die schiere Höhe der seinerzeit verhängten Strafen kann man unserer Meinung nach sehr wohl streiten. Nicht jedoch darüber, ob es sich bei den Aktionen, die den Urteilen vorausgingen, um Straftatbestände nach internationalem Recht handelt oder nicht! Das Credo vieler westlicher Medien, die Inhaftierten seine reine "Gewissensgefangene", mithin Unschuldige, die unverzüglich freigelassen werden müssten, nennen wir – allerdings! - unhaltbar.

Zur Konsequenz, aus diesem Menschenrechts-Hickhack, nämlich dem Ausstieg Deutschland aus Havannas Buchmesse auf allerhöchster Ebene, resümiert Harald Neuber: "Als der Präsident des "Kubanischen Buchinstituts", Iroel Sánchez, bei der Eröffnung der Messe von einer "Kulturblockade Europas" sprach, kam umgehend ein Dementi Niemand habe die Absicht, eine Kulturblockade zu verhängen", hieß es am vergangenen Wochenende aus Brüssel. Nach Ende der italienischen Ratspräsidentschaft, so scheint es, versucht man sich in Schadensbegrenzung.

Wenden wir uns nun Paul Ingendaay von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zu.

Da erwarten wir, durch langjährige Erfahrung mit diesem Blatt geprüft, schwereres Geschütz. Und werden nicht enttäuscht!

In seinem Artikel vom 18.2.04 benötigt er mehr als eine volle Internetseite für ein Intro, dessen Bezug zum Thema "Buchmesse" sich – mit einer einzigen Ausnahme – wohl nur der Feinsinnigkeit des FAZ-Lesers erschließt.

Im Zentrum dieser Einleitung steht ein Schriftsteller ("den wir Eduardo nennen"). Inwieweit der verfolgt oder in seinem literarischen Tun auch nur behindert wird, bleibt Ingendaays Geheimnis. Aber sein Autor berichtet, er habe kürzlich des Nachts zwischen einem Woody-Allen-Video und einer fünfeinhalbstündigen Castro-Rede hin und hergeschaltet, weil er auf einen physischen Zusammenbruch des Comandante gehofft habe „und die Vorstellung, ich könnte diesen Augenblick verpassen, war mir unerträglich. Weißt du wie lange ich schon darauf warte?“

Dieser Eduardo hat seinerseits einen schriftstellenden Freund ("nennen wir ihn Jorge"), dessen Bücher angeblich – und das ist die eben erwähnte Ausnahme – in Cuba nicht mehr erscheinen dürfe. "weißt du", fährt Eduardo fort, "wie Jorge unseren obersten Führer nennt? Nosferatu."

Es muss eine Börse für diese Leute geben – für Paul Ingendaays, Matthias Matuseks und wie sie sonst noch heißen mögen. Und da wird ihnen dann gesagt: "Wenn du ein geiles Anti-Castro-Zitat brauchst, geh zur Calle soundso, Nummer soundso, dritter Stock, rechts neben dem kaputten Fahrrad, keine Türklingel." Oder so ähnlich.

Die Castro-Ansprache richtete sich übrigens an die Teilnehmer eines Wirtschaftskongresses in Havanna. Also auch hier keine Bücher weit und breit. Ingendaay spricht in besagtem Zusammenhang von der "frei halluzinierten Rede" des cubanischen Präsidenten und schwingt sich nunmehr zu einem Höhepunkt auf, den er nicht mehr toppen wird: "Längst haben Castros Mäandernde Ausführungen die Qualitäten eines roman fleuve erreicht, der jenseits kurioser Abschweifungen und des weißen Rauschens der Revolutionsrhetorik schillernde historische Analogien mitführt wie tote Fische."

Ich gebe unumwunden zu: Das ist der schönste Fidel-Hasser-Satz, den ich seit Jahren gelesen habe! Er hat was. Er ist von sprachästhetischem Reiz. Ihn zu analysieren wäre eine hübsche Aufgabe, die aber leider den Rahmen dieses Berichts heillos sprengen würde. Weit weniger originell als der Satz ist freilich die dahinter stehende Absicht: Fidel so darzustellen, als habe er nicht mehr alle Tassen im Schrank, ist doch mittlerweile ein arg wundgerittener Klepper der anticastristischen Propaganda.

Einziges weiteres Ziel Ingendaayscher Polemik ist dann noch "der große, schöne Kopf des Kulturministers, dessen Haarpracht an deutsche Schlagersänger der siebziger Jahre erinnert." Auch hier bedarf es keiner Phantasie, die Intention zu erkennen: Abel Prieto soll als weiterer Kronzeuge der angeblichen antiquiertheit cubanischer Politik vorgeführt werden. Das ist allerdings nur noch peinlich, denn wenn es einen Minister gibt, der in den letzten Jahren viel bewegt hat, dann ist er es.

Danach, etwa zur Hälfte des Artikels, hat es jedoch mit den Gemeinheiten im essayistischen Kleid überraschend sein Bewenden und der Schreiber macht im Grunde ganz manierlich weiter.

Da findet man dann auch Passagen wie: "Dass Kubaner eine große Lesenation sind, ist hier mit Händen zu greifen, und die Ernsthaftigkeit literarischer Bildung in Kuba, eine der unbestrittenen Leistungen der Revolution, beschämt die kulturelle Arroganz westlicher Industrienationen."

Er lobt die Erschwinglichkeit des Messe-Angebots für breite Schichten des Publikums, etwa wenn er festhält: "Für nur fünf Dollar erhält man beim kubanischen "Zentrum für José-Martí-Studien" das Gesamtwerk des kubanischen Nationalhelden, Dichters, Publizisten, Anwalts und Theoretikers des Antikolonialismus auf CD-ROM, nicht weniger als 12.500 Seiten."

Im übrigen macht Ingendaay keinen Hehl daraus, dass er den Beschluss des deutschen Auswärtigen Amtes, sich offiziell von der Buchmesse zurückzuziehen (wobei er aber vom Begriff "Kulturboykott" nichts wissen will) für falsch hält:

"Dass die Entscheidung der Bundesregierung auf Opportunismus beruhte, steht wohl außer Zweifel. (…) Mit der preiswerten Kuba-Sanktion hat Schröder beim amerikanischen Präsidenten verlorene Sympathien zurückgewonnen. An diesem Schritt gibt es nichts zu bewundern."

Weiter führt er aus: "Ebendeshalb verdient die Aktion der Tageszeitung "Junge Welt" und mehrerer deutscher Verlage, Deutschland in Kuba zu repräsentieren, einigen Respekt."

Ingendaay bemängelt allerdings die fehlende Bereitschaft der anwesenden Deutschen, die "sich nicht umstandslos zu ideologischen Freunden des Regimes" rechnen ließen und doch immerhin zweitausend deutsche Bücher cubanischen Bibliotheken gespendet hätten, "auch ein lautes Wort zur Repressionswelle in Kuba riskiert" zu haben.

Die Erklärung Rolf Manfred Hasses (Pressereferent der Niedersächsichen Landebibliothek), man habe das Ereignis nicht "stören" wollen, verleitet den FAZ-Journalisten zu der Replik: "Wer so viele Bücher bringt, hätte aber stören dürfen."

Und schließlich gab es noch den Beitrag des ARD-Hörfunkkorrespondenten Matthias Reiche vom 6. Februar 2004, dem man im Großen und ganzen konzedieren muss, dass Schläge unter die Gürtellinie seine Sache nicht sind.

Wohlgemerkt: im Großen und Ganzen. In einem speziellen Fall freilich unterläuft ihm ein terminologischer Ausrutscher, vor dem auch ein Paul Ingedaay zurückgeschreckt wäre. Reiche spricht da von den Todesurteilen "gegen drei bei einem Fluchtversuch gescheiterte Kubaner". Wenn das nicht pure Ignoranz ist, so ist es unterste polemische Schublade!

In meiner Vorstellung von "Flüchtlingen" haben jedenfalls keine Leute Platz die Geiseln mit an der Schläfe aufgesetzten Schusswaffen mit dem Tode bedrohen.

Ansonsten ist, wie gesagt, der Ton eher moderat. Überwiegend werden Worte des Bedauerns zitiert, etwa die der Messe-Direktorin Elizabeth Diaz: "Ja, es ist wahr. Dass Deutschland seine Zusage wieder zurücknahm, hat uns sehr getroffen. (…) Ich denke, man hätte die Politik nicht mir der Kultur vermischen dürfen. (…) Ich hatte mir anfänglich vieles vorgestellt – so dass Günther Grass und Christa Wolf an der Buchmesse teilnehmen."

Oder die des bekannten cubanischen Literaten Miguel Barnet, Bundesverdienstkreuzträger aufgrund seiner Meriten um die kulturelle Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern: "Ich denke, es ist sehr bedauerlich und traurig", sagte er. Kuba habe Deutschland eingeladen, "weil unser Interesse an diesem Land und seiner Kultur sehr groß ist". Er hoffe allerdings, dass der Kulturaustausch "dauerhaft von keinem Bürokraten und keinem Funktionär gebremst werden könne".

Auch Reiche betont ausdrücklich, dass unter den drei Dutzend deutscher Buchverlage "nicht alle als linke Nostalgiker oder glühende Verfechter von Castros Tropensozialismus gelten können", sondern schon hier und da wirtschaftliche Erwägungen eine Rolle gespielt hätten.

Ach ja. Die "linken Nostalgiker". Das ist auch so eine lexikalische Einheit aus der Küche der bürgerlichen Medien. Links sein ist nostalgisch, und wer nostalgisch ist, geht am realen Leben vorbei. Ist es nicht so, Herr reiche?

Der ARD-Korrespondent schließt, indem er bedauernd festhält, es bleibe "die Tatsache, dass Deutschland eine Chance verpasste, die Buchmesse zu nutzen, um eigene Vorstellungen von Demokratie und Menschenrechten darzulegen. Ein reales Deutschlandbild werden die zu erwartenden rund drei Millionen Besucher nun kaum bekommen können ...".

Ein irreales allerdings auch nicht, denn es ist unwahrscheinlich, dass die cubanischen Messe-Interessierten nun annehmen werden, dass etwa das beworbene Parteiprogramm der MLPD repräsentativ für die politische Landschaft Deutschlands sei. Obwohl … lustig wär's irgendwie schon.

P.S.: Der erwähnte (und etwas in der Luft hängende) Matthias Matusek schrieb im August vergangenen Jahres einen Artikel für das Wochenmagazin "Der Spiegel". Er tat damals einen Interviewpartner auf, der Fidel Castro mit Hitler verglich. Übrigens: Wenn wir die Bilder mischen, so erhalten wir einen Nosferatu mit Hitlerbärtchen, der durch seine Vampirzähne in ein Mikrophon hinein halluziniert. Jetzt waren wir gespannt auf Godzilla.

CUBA LIBRE Ulli Fausten

CUBA LIBRE 2-2004