Bundesdelegiertenkonferenz 2001 in Göttingen

Als Gunnar in seiner Eigenschaft als Leiter des Abschlussplenums (und quasi als Hausherr) die diesjährige Konferenz für beendet erklärte, wies er freundlich darauf hin, dass sich beim nächsten Mal doch – bitte schön – eine andere Regionalgruppe "einbringen" möge.

Die dahinter stehende Besorgnis war klar: Dreimal hintereinander diese Jugendherberge – damit wäre man Gefahr gelaufen, die normative Kraft des Faktischen in Gang zu setzen: BDK in Göttingen wie DFB-Pokalfinale in Berlin.

Das sollte dann doch nicht sein.

Ich ertappte mich gleichwohl bei dem ketzerischen Gedanken: Schade eigentlich!

Mittlerweile kennt man in diesem Haus die kürzesten Wege zu den Klos. Man weiß, dass man in den Betten erholsam schläft, sofern einen die Spätheimkehrenden von der "Fiesta Cubana" lassen. Selbst an die abgezählten Kartoffeln, die, nebenbei bemerkt, unter das Waffengesetz fallen müssten, hat man sich gewöhnt, und was für Fleisch man beim Mittagessen unter den Zähnen hat, gibt immer wieder Anlass zu heiterem Rätselraten. Man weiß hingegen auch, dass man durch das Abendbrot- und Frühstücksbuffet mehr als entschädigt wird.

Sei's drum. Nächstes Jahr höchstwahrscheinlich München. Andere Klos, andere Betten, andere Kartoffeln.

Der Wahrheit ist geschuldet, dass wir diesmal nicht spürbar zahlreicher waren als beim letzten Mal. Und schon beim letzten Mal war thematisiert worden, dass man mehr TeilnehmerInnen mobilisieren müsse. Immerhin waren wir unser fünfundzwanzig und dreißig, aber das ist kein Grund zum Jubeln.

Das Kuriosum dabei ist: Unsere Mitgliederzahlen sind progressiv! Laut unserem Kassierer Werner liegen wir derzeit ziemlich genau bei 1.000 bundesweit. Dadurch gestaltet sich unsere finanzielle Situation so zufriedenstellend wie schon lange nicht mehr. Allein, zwischen nur beitragszahlenden und aktiven Mitgliedern scheint die Schere in einer Weise auseinander zu klaffen, die uns nicht zufriedenstellen kann.

Schluss mit den Bauchschmerzen!

Ein Teilnehmer an dieser BDK, den man besonders erwähnen sollte, ist Frank Schwitalla. Frank war in doppelter Funktion bei uns – erstens als langjähriges und verdienstvolles FG-Mitglied und zweitens als Vorsitzender des Netzwerk Cuba, dessen Grüße und Gelingenswünsche er uns überbrachte.

Die Cubanische Botschaft war durch Gerardo Peñalver und Jesus Sierra vertreten. Gerardo informierte uns während der Vormittagssitzung im wesentlichen über die Manöver der USA, Einfluss auf die Abstimmung zur Verurteilung Cubas vor der UN-Menschenrechtskommission in Genf zu nehmen, die wenige von uns in diesem Detail kannten. Warum die Vereinigten Staaten im Laufe der Jahre dafür gesorgt haben, dass dieses vom Ansatz her sicherlich wichtige Gremium zu einem Affenzirkus verkommen ist, war einigen Anwesenden vermutlich ebenfalls nicht so geläufig: Es ist das EINZIGE internationale Forum, das ein gewisses Gegengewicht darstellt, zur alljährlich wiederholten niederschmetterten Ablehnung der US-Blockade gegen Cuba, durch die Staatengemeinschaft. Dieses fadenscheinige Feigenblatt für ihre schikanöse und skandalöse Cuba-Politik aufrecht zu erhalten, lassen sich die USA jedes Jahr Unsummen von Bestechungs- und Erpressungsgeldern an Drittweltländer kosten, um schließlich doch nur einen hauchdünnen Sieg davonzutragen.

Vera und Werner erarbeiteten im Namen der BDK ein Schreiben ans Auswärtige Amt, das geplante Abstimmungsverhalten seitens der deutschen Delegation am 18. April in Genf noch einmal zu überdenken. Wir sahen uns in der Pflicht, wenigstens den Versuch zu unternehmen. Nicht, dass wir uns Illusionen hingegeben hätten …

Natürlich sah Deutschland die Menschenrecht in Cuba auf das heftigste verfolgt. Natürlich gehörte unser Land zu den ersten, die kuschten, als der "große Bruder" ultimativ forderte, die Blockade in der Resolution mit keiner Silbe zu erwähnen.

Auch die Begründung zur Ausladung eines gewissen Ludger Vollmer von den Grünen, der vorhatte die Insel offiziell zu besuchen, war überaus aufschlussreich. Offenbar müssen auch die ehemals Linken, seit sie die schwere Last der Regierungsmitverantwortung tragen, erst noch lernen, dass ein schamloses Heranschleimen an den Zeitgeist Türen nicht nur öffnen, sondern auch zuschlagen kann.

Dass dies alles dem Gedeihen des zarten Pflänzchens "deutsch-cubanische Beziehungen" nicht eben förderlich ist, liegt auf der Hand. Das Eingebundensein der deutschen Regierung ins Korsett einer gemeinsamen EU-Haltung zu Cuba ist um so bedauerlicher, als durch den Besuch von Heidemarie Wiezorek-Zeul (wie immer man dazu stehen mag) einiges Positive auf den Weg gebracht wurde, wenngleich deutsche Firmen, die in Cuba investieren, stets das Damoklesschwert des Helms-Burton-Gesetzes im Nacken spüren und das cubanische Außenhandelsministerium eindringlich bitten, ihre Namen zu verschleiern.

Dies war im großen und ganzen der Samstagvormittag, und damit komme ich zu etwas völlig anderem, nämlich zur Phänomenologie der illegalen Raucherpause.

Das Problem ergibt sich immer dann, wenn die stringente Zeitplanung es will, dass wir im Plenum 2 ½ Stunden am Stück tagen (in Worten: zweieinhalb!). Marianne verliest ein mehrblättriges, in kleiner Type beidseitig bedrucktes Vorlagepaper, dieser gibt seinen Senf dazu, jener kriegt die Kurve nicht – man kennt das. Nach zirka einer Stunde, spätestens nach anderthalb, wird man, wenn man aufpasst, zeuge eines eigentümlichen Schauspiels: Jemand steht von seinem Platz auf und geht gemessenen Schrittes auf den Ausgang zu. Wenn er richtig gut ist, gelingt es ihm, dabei einen Anschein von Unschlüssigkeit zu geben, so, als wisse er gar nicht recht, was er eigentlich will. Entweder macht er einen Schlenker nach links – entlang den Tischen mit Büchern und "diversen Pofel" - oder er wählt den direkten Weg zu den Kaffeecontainern und schwätzt ein paar launige Worte mit dem Zerberus an der Getränkekasse. Im Türrahmen schließlich beschreibt er eine halbe Drehung und zückt, dem Plenum zugewandt, ein Zigarettenpäckchen. Die hohe Kunst besteht nun darin, den Rauch beiläufig nach draußen zu pusten ohne Blickkontakt zum Referenten zu verlieren, denn das wäre unhöflich. Der einzige Pfeifenraucher unter uns entledigt sich dieser Aufgabe mit unnachahmlicher Würde.

Zusatzbemerkung: Keiner will der erste sein, denn die Erfahrung lehrt, dass ihm binnen weniger Sekunden mindestens zwei weitere folgen.

Anhang zur Zusatzbemerkung: Das Gefühl etwas gegen die Regel zu tun und die Lust an ebendiesem Gefühl halten sich ziemlich exakt die Waage.

Ende des Exkurses.

Die Nachmittagsitzung zerfiel per Mehrheitsentscheid diesmal nicht in Arbeitsgruppen, sondern wurde vielmehr im Plenum durchgeführt: Materielle Hilfe, Öffentlichkeitsarbeit und Anti-Barcadi-Kampagne.

Zu letzterem hatten Ulli und Renate bereits ein Radio-Feature beim Medienforum Duisburg herausgebracht, das akustisch vorgestellt wurde und so großen Anklang fand, dass für 14 Regionalgruppen CD-Kopien der Aufnahme erstellt wurden. Wie viele Bürgerfunk-Sender sich bisher zur Ausstrahlung entschließen konnten, war bei Redaktionsschluss noch nicht klar.

Die Tatsache, dass sich Cuba Si den Kopf zergrübelt hat auf der Suche nach einem Termin für seinen Berliner Cuba-Kongress, um dann mit schlafwandlerischer Sicherheit auf dem Dortmunder Wochenende des UZ-Pressefestes zu landen, war diesmal nicht Gegenstand der Diskussion. Nur die Überlegung, inwieweit wir gleichsam am Katzentisch dieses Großereignisses Flagge zeigen sollten. Die FG Berlin wird einen Stand haben und unser Aachener Reisebüro Vacancia ebenfalls.

Für den Herbst (vermutlich November) ist eine BRD-Reise von Manolo Menéndez von der Ideologischen Abteilung des ZK vorgesehen. Man war sich einig, dass es unangemessen wäre, einen Vertreter Cubas seines Kalibers in Kleinveranstaltungen zu verheizen. Für die von Menéndez avisierte Aufenthaltsspanne von 10 Tagen sind daher nicht mehr als drei bis vier Termine ins Auge gefasst worden, die alle ein gewisses quantitatives Niveau nicht unterschreiten sollten. So etwas will geplant sein; daher auch die relativ lange Vorlaufzeit.

Der "Wahlsonntag" erbrachte erdrutschartige Siege für die angetretenen Kandidatinnen und Kandidaten. Es ist wahrscheinlich dem Umstand geschuldet, dass der frischgebackene Leiter der Wahlkommission ein ums andere Mal vergaß, die Betreffenden nach ihrer Annahme der Wahl zu fragen – ein Versäumnis, auf das ihn die (wiedergewählte) Vorsitzende mehrmals sotto voce aufmerksam machen musste. (Das lern' ich auch noch Marianne!)

Abschließend sei gesagt, dass die BDK in guter Atmosphäre verlief. Auch wenn wir nicht in allen Fällen einer Meinung waren, gingen wir doch pfleglich und fair miteinander um. Das war, wie sich einige erinnern, in der Vergangenheit nicht immer so gewesen.

CUBA LIBRE
Ulli Fausten

CUBA LIBRE 3-2001