Joint Venture mit Hanns Seidel

Es gibt keine andere für uns gültige Definition des Sozialismus als die Abschaffung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Solange dies nicht der Fall ist, befindet man sich in der Etappe des Aufbaus des Sozialismus. Wenn statt der Erreichung des Zieles, also der Beendigung der Ausbeutung, der Prozeß stagniert oder Rückschritte in diesem Bereich erfolgen, kann nicht einmal vom Aufbau des Sozialismus gesprochen werden.
Che Guevara

Und niemals hat unser Land auch nur einen Augenblick erwogen, wirtschaftlichen Interessen politische Prinzipien zu opfern. Denn wenn wir so wären, hätten wir längst tausend und einen Grund gefunden, um uns mit dem Imperialismus auszusöhnen, zumal dies ja im Augenblick so Mode ist.
Fidel Castro


Seit dem Ende der sozialistischen Länder in Europa wird Kuba von Freunden und Feinden immer wieder als "letztes Bollwerk" des Sozialismus bezeichnet, und bis vor kurzem hat auch Fidel Castro in vielen seiner Reden und Stellungnahmen Kubas Bedeutung entsprechend interpretiert. Die ökonomische Krise auf der Insel ist aber mittlerweile so umfassend, daß die kubanische Regierung sich gezwungen sieht, in ihrer Wirtschaftspolitik auf prokapitalistische Reformen zu setzen.

Fidel gab Ende Juli die Legalisierung des Devisenbesitzes für die Kubanerinnen und Kubaner bekannt. Was aber bei oberflächlicher Betrachtung der aktuellen Situation Kubas zunächst als ein bloßes Zugeständnis an die Realitäten erscheint, ist tatsächlich eine Katastrophe für die kubanische Revolution, deren Konsequenzen noch gar nicht gänzlich abzusehen sind. Sicher ist, daß die Bevölkerung fortan in Dollarbesitzer und solche, die keine haben, gespalten sein wird. Die Peso-Inflation wird steigen und der Schwarzmarkt wird größer. Die kubanische Regierung hofft, daß in Zukunft mehr Dollars ins Land kommen, weil Exilkubaner nun ihre Verwandten auf der Insel mit den begehrten Devisen versorgen werden. Tatsächlich ist da einiges zu erwarten, aber der moralische und politische Preis ist enorm. Fidel nannte es eine "bittere Wirklichkeit", daß die kubanische Bevölkerung "34 Jahre Opfer gebracht (hat), … um schließlich zu einer Situation zurückzukehren, von der wir annahmen, daß sie ein für allemal beendet wäre". Und die Zeitungen des Kommunistischen Jugendverbandes Kubas, "Juventud Rebelde", bezeichnete die Dollarfreigabe als einen der "schwersten Rückschläge" seit dem Sieg der Revolution.

Das Volumen der kubanischen Wirtschaft ist seit 1989 um über 40 Prozent gesunken. Über ein Drittel der staatlichen Betriebe mußte stillgelegt werden. In den übrigen wird zum Teil nur noch zeitweilig gearbeitet. Zwar werden die Löhne in allen Bereichen (noch) weitergezahlt, aber die Kubanerinnen und Kubaner können für das Geld auf dem offiziellen Markt fast nichts mehr bekommen. Die staatlich garantierte Zuteilung von Lebensmitteln und anderen Dingen des täglichen Bedarfs ist so gering geworden, daß sie ein Überleben der Menschen – zumindest der städtischen Bevölkerung – nicht mehr sicherstellen kann. Die Folge ist ein gigantischer informeller Sektor, auf dem fast alles verkauft wird – zu enormen Preisen, die von Monat zu Monat steigen. Die Leitwährung ist der Dollar. Während der offizielle Umtauschkurs ca. eins zu eins beträgt, werden auf dem Schwarzmarkt heute zwischen 60 und 80 Pesos für einen Dollar gezahlt. Die Tendenz ist von Monat zu Monat steigend.

Noch verhungert niemand auf Kuba, aber schon treten Mangelerkrankungen auf. Und mittlerweile sind auch die in der Dritten Welt beispiellosen Errungenschaften der Revolution gefährdet. Zwar wird kein Krankenhaus, kein Kindergarten und keine Schule geschlossen, noch nicht einmal die staatlichen Etats in den sozialen Bereichen werden gekürzt, was immerhin in allen anderen Ländern nicht nur in Lateinamerika die selbstverständliche Folge einer derartig gravierenden Wirtschaftskrise wäre. Aber es fehlen wichtige Medikamente, und der Mangel an Lebensmitteln sowie Hygieneartikeln macht sich natürlich in den Hospitälern genauso bemerkbar wie fehlende Unterrichtsmaterialien etc. in den Schulen.

Um der Krise entgegenzusteuern beginnt die kubanische Regierung die Ökonomie Schritt für Schritt zu reformieren. Ihre wirtschaftspolitischen Maßnahmen gehen weg vom haushaltsmäßigen Finanzierungssystem des Staates hin zu wirtschaftlicher Rechnungsführung und Selbständigkeit der Betriebe. Staat und Firmen forcieren ihre Bemühungen, kapitalistischen Unternehmen Beteiligungen in sämtlichen ökonomischen Sektoren anzubieten.

"Aus schierer Verzweiflung"

Das westdeutsche "Handelsblatt" vom 5. April berichtete, daß eine kubanische Handelsdelegation im März an einem Seminar der englischen Zeitschrift EUROMONEY in London teilnahm und dort mit den guten Gewinnmöglichkeiten für Auslandsinvestoren warb. Zynisch-triumphierend bemerkte das Blatt weiter, die Kubaner böten "heute – aus schierer Verzweiflung – Bedingungen an, die jede sozialistische Orthodoxie entwerten und manchmal den neoliberalen Umbau auf dem kapitalistischen Festland Lateinamerika übertreffen. Dazu gehört auch ein völlig freier Transfer von Gewinnen." Auf dem Seminar betonten die anwesenden Kubaner zudem, daß die kubanischen Arbeiter und Angestellten der Joint Ventures "im Falle schlechter Arbeit" ohne Probleme entlassen werden können.

"Joint Ventures" sind die Zauberwörter der ökonomischen Reformen. Die legale Grundlage für die Öffnung der kubanischen Wirtschaft wurde bereits im Jahr 1982 geschaffen. Bedeutung gewann das "Gesetz Nr. 50" aber erst seitdem der auf gleichen Austausch und gerechten Wirtschaftsbeziehungen basierende Handel mit der Sowjetunion und den übrigen sozialistischen Ländern Europas zum Erliegen kam. Zwar erlaubt das Gesetz im allgemeinen nur eine maximale Beteiligung von 48 Prozent ausländischen Kapitals an kubanischen Unternehmen, sieht aber gleichzeitig "Ausnahmen" vor, die von den verantwortlichen Stellen in der kubanischen Partei und Regierung sehr flexibel und liberal gehandhabt werden. So gibt es schon heute gemischte Unternehmen, an denen kapitalistische Konzerne mit 50 und mehr Prozent beteiligt sind. Die Betriebe sind völlig unabhängig vom kubanischen Staat; die kapitalistischen Investoren unterliegen keinen Zollbeschränkungen und können ihren Gewinnanteil in der Regel sogar steuerfrei ausführen. Und um den Kapitalisten "eine größere gesetzliche Sicherheit zu geben", so der ehemalige Präsident der kubanischen Nationalversammlung, Juan Escalona, wurde die Tätigkeit von Joint Venture-Unternehmen im vergangenen Jahr auch noch durch eine entsprechende Verfassungsänderung garantiert.

Die mexikanische Zeitschrift PROCESO 817 schrieb bereits im Juni 1992: "Es gibt praktisch keinen Wirtschaftszweig, in dem Kubaner nicht zur Aufnahme von Handelsbeziehungen oder Beteiligung durch Investitionen einladen, auch in den strategisch wichtigen Bereichen, die bisher tabu waren: in der Zuckerindustrie, im Energiesektor, in der Nickelproduktion, in der Biotechnologie, im Transportwesen, im Tourismus, in der Tabakindustrie, im Anbau von Zitrusfrüchten, im Dienstleistungsbereich, … überall … bisher sind es vor allem Investoren aus Spanien und Kanada aber auch aus Frankreich, der Schweiz, Panama, Brasilien und Mexiko." (siehe Cuba Libre 1/93)

Die Liste ist unvollständig, aber wo es was zu holen gibt, sind die Deutschen natürlich dabei. Sie treffen auf wohlwollende kubanische Gastgeber. So unterhält die bayrische Hanns-Seidel-Stiftung gute Beziehungen zu verschiedenen kubanischen Institutionen. Mehrere Kubaner – darunter auch solche, die von ihrer Funktion her nicht dem "Zwang diplomatischer Höflichkeit" unterworfen sind – nahmen im vergangenen Oktober an einer Feier zum "Jahrestag der Wiedervereinigung" in der deutschen Botschaft in Havanna teil. Zwar unterstützt die BRD die Blockade der USA gegen Kuba, indem sie als Rechtsnachfolgerin der DDR deren sämtliche Verträge mit Kuba einseitig kündigte. Betroffen davon sind nicht zuletzt die kubanischen Kinder, für die die Milchzuteilung drastisch gekürzt werden mußte, weil das früher von der DDR gelieferte Milchpulver nun nicht mehr geliefert wird. Aber den Profitinteressen deutscher Kapitalisten darf die US-Blockade nicht im Wege stehen. Darum votierte die BRD Ende vergangenen Jahres bei der Abstimmung in der UNO-Vollversammlung über die von Kuba eingebrachte Resolution gegen die Blockade mit Stimmenthaltung.

In der FAZ vom 21.1.93 inserierte eine deutsche "AICO.Antillian Investment Corporation" unter der Überschrift "Kuba ist anders" und warb für Joint Ventures" im Zuge der jetzt einsetzenden Neugestaltung auf der schönsten Karibik-Insel. Auf Nachfrage bot die "AICO" Beteiligungen in nahezu sämtlichen Bereichen der kubanischen Volkswirtschaft an, wobei sie Bedenken in Bezug auf die Präsenz von Gewerkschaften, Kommunistischer Partei und Kommunistischem Jugendverband in den kubanischen Betrieben mit dem Argument, die Zusammenarbeit klappe sehr gut, Probleme seinen bisher nicht aufgetaucht, auszuräumen versuchte.

PROCESO 817 zitierte eine Untersuchung des John Hopkins Institute in Washington, wonach es Anfang 1992 bereits mehr als 200 Joint Ventures auf Kuba gab, "und es wird davon ausgegangen, daß es innerhalb weniger Jahre Tausende sein werden. - Kubanische quellen nennen allerdings aktuelle zahlen zwischen 80 und 100. Die Umgestaltung hat ja auch gerade erst angefangen. - Laut dieser Untersuchung sagte der Vizepräsident der kubanischen Handelskammer, Abelardo Larringa: "Alles wird überdacht. Wir sind sogar offen für die Möglichkeit, gemischte Unternehmen zwischen ausländischen Partnern und kubanischen Privatbauern zuzulassen." Und Carlos Lage, Mitglied des Politbüros, Wirtschaftsfachmann und Kopf der "Pragmatiker" in der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) erklärte: "In der Regel findet die Einbeziehung von ausländischem Kapital in den Exportsektoren statt. Es wird jedoch nicht ausgeschlossen, es auch in bestimmten Bereichen des Binnenmarktes einzusetzen."

Überdacht wird die gesamte Situation natürlich auch von Teilen des nordamerikanischen Kapitals. Im Sommer vergangenen Jahres veranstaltete EUROMONEY eine internationale Kapitalistenkonferenz über "Möglichkeiten für Geschäfts- und Handelsbeziehungen sowie Investitionen auf Kuba". Die Versammlung begann im mexikanischen Cancún, wurde aber nach zwei Tagen – vor Ort redet sich's gemütlicher – nach Havanna verlegt. 95 der 150 Teilnehmer kamen aus den USA, nicht wenige davon Exilkubaner aus Florida. Schätzungen gehen davon aus, daß denen 15 bis 40 Milliarden Dollar für mögliche Investitionen auf Kuba zur Verfügung stehen. Eine Realisierung dieser Investitionen, das wissen die Kubaner, setzt allerdings eine gründliche Umgestaltung der Beziehungen zwischen der Regierung in Havanna und der kubanischen Gemeinde in Miami voraus.

Die Hanns-Seidel-Stiftung

Daran wird – mit deutscher Hilfe gearbeitet. Anfang Mai trafen sich auf Initiative der Hanns-Seidel-Stiftung zum ersten Mal führende Vertreter der PCC mit Exilkubanern aus Venezuela und Miami zu einem "Seminar über partizipative Demokratie" in Havanna. Die Exilkubaner waren durch die in Caracas ansässige Organisation "Pro Hombre" auf der Veranstaltung vertreten. "Der Vorsitzende dieser von der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung unterstützten Gruppe", so die Süddeutsche Zeitung vom 5. Mai, "ist der Kubaner Amalio Fiallo. Er gründete 1957 die christdemokratischen Positionen nahestehende 'Radikale Befreiungsbewegung' und verließ die Insel bereits 1960". Organisiert wurde das Seminar vom "Studienzentrum für politische Alternativen" der Universität Havanna gemeinsam mit dem ebenfalls in der kubanischen Hauptstadt ansässigen "Zentrum für europäische Studien". Letzteres hat wiederum auch sehr gute Beziehungen zur Hanns-Seidel-Stiftung und sogar einen Praktikanten in deren Münchner Büro.

Die FAZ vom 6. Mai 1993 wußte zu berichten: "In Gesprächen versicherten die Vertreter beider Seiten, daß diese Zusammenkunft nur ein 'erster Schritt' sein könne, um eine politische Annäherung herbeizuführen. … Das ZK-Mitglied Gomez-Barata anerkannte die Stärke des kubanischen Exils und sagte, ein 'bedeutender Teil' dieses Exils sei bereit, sich Kuba gegenüber 'konstruktiv' und auf der 'Grundlage einer gemeinsamen nationalen Idee' aufgeschlossen zu verhalten." Und laut Radio Havanna vom 3. Mai sagte der stellvertretende Außenminister Fernando Ramírez auf dem Treffen, daß Kuba bereit sei, "alle politischen Ideen zu prüfen", wenn sie "mit Respekt vorgeschlagen und zu den "kulturellen Traditionen des Landes" passen würden. Der zweite Schritt folgte bald. Weil's so schön war, organisierte die CSU-Stiftung gleich Ende Juli eine Fortsetzung der Veranstaltung mit den moderaten Contras und schickte als deutschen Pfleger nationaler Ideen und Kulturen den Bundestagsvizepräsidenten Hans Klein nach Havanna. An der Eröffnung nahm neben anderen hohen Funktionären der PCC auch der Präsident der kubanischen Nationalversammlung, Alarcon teil.

"Ehrenhafte und unabhängige Leute"

"Nationale Idee", kulturelle Traditionen des Landes" - natürlich muß die PCC ihre neue Politik der Bevölkerung nahebringen und plausibel machen. Sie versucht dies durch eine schon seit längerer Zeit anhaltende Mobilisierung von Nationalismus, die einher geht mit der propagandistischen Gleichsetzung von Sozialismus und "nationaler Souveränität". Schon im Dezember 1989 erklärte Fidel den "Patriotismus" zu einem §der großenartigsten Werte, die die Menschheit zu schaffen fähig war". Aber während er zur gleichen Zeit noch sagte, der "Kapitalismus, seine Marktwirtschaft, seine Werte, seine Kategorien und seine Methoden können niemals die Instrumente sein, die dazu dienen können, dem sozialismus aus seinen gegenwärtigen Schwierigkeiten herauszuhelfen" und kurze Zeit später: "Ja, wir werden revolutionäre Veränderungen vornehmen, von Mal zu Mal revolutionärer und revolutionärer sein, weil wir noch nicht revolutionäre genug sind!", erledigt Carlos Lage den Widerspruch zwischen revolutionärem Anspruch und prokapitalistischen Wirtschaftsreformen heute in wenigen Sätzen: "Es gibt keinen Widerspruch sondern eine Ergänzung. Das sozialistische System ist mit Marktmechanismen vereinbar. Der Unterschied besteht darin, daß die durch diese Investitionen erzeugten Gewinne in den kapitalistischen Ländern einigen wenigen zugute kämen, hier werden sie dagegen in Übereinstimmung mit den Kriterien einer Planwirtschaft verteilt." Aber selbst eine gerechte Verteilung auf Kuba vorausgesetzt, was angesichts der auch monetären Selbständigkeit der Betriebe und des riesigen informellen Wirtschaftssektors gar nicht so einfach ist, unterschlägt Carlos Lage mit diesem Satz, daß mindestens die Hälfte der in den Joint Venture-Unternehmen getätigten Gewinne, Mehrwert aus der Arbeit von Kubanerinnen und Kubanern, einzig und allein den investierenden kapitalistischen Konzernen zufließt. Laut Lage aber sind diese Investoren, die Ausbeuter kubanischer Arbeitskräfte, "ehrenhafte und unabhängige Leute". Immerhin.

Während seines Besuches in der VR China verhehlte Carlos Lage auch nicht seine Sympathie für die kapitalistischen Experimente der chinesischen Partei und Regierung: "Wir vertrauen auf das chinesische Reformprogramm und wir sind weit davon entfernt, diese Reformen als Hindernis für unsere Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zu betrachten. Sie werden im Gegenteil Bedingungen schaffen, um sie zu fördern." Was diese Reformen aber für China bedeuten ist ja bekannt; extreme Armut und Verelendung in immer größer werdenden Teilen der Bevölkerung auf der einen und die Entwicklung einer kleinen Schicht von Millionären auf der anderen Seite. Ist es also diese Entwicklung, die Fidel im Sinn hatte, als er kürzlich davon sprach, daß der Sozialismus auf Kuba den Realitäten dieser Welt angepaßt werden müsse?

Bestimmt nicht. Aber einmal zugelassen, setzen marktwirtschaftliche Reformen und Realitäten Automatismen in Gang, die nicht einfach per politischem Dekret revidiert werden können. Allein die Laufzeit der Investitionsverträge und die durch Gesetz für 25 und mehr Jahre garantierten Land- und Eigentumskonzessionen an die kapitalistischen Investoren werden eine Rückkehr zu sozialistischen Bedingungen in absehbarer Zeit verhindern. Und natürlich muß sich die Politik, insbesondere die Außenpolitik, an die geänderten Strukturen anpassen. Wayne Smith, ehemaliger Chef der US-Interessenvertretung in Havanna, prognostiziert, daß Kuba in einigen Jahren "eine Regierung sozialdemokratischen Zuschnitts" haben werde. Der Sozialismus ist keine Insel aber auch kein Joint Venture-Unternehmen.

Friedlicher Übergang zum Kapitalismus also auch auf Kuba? Es ist eine durch die nordamerikanische Blockade, die damit verbundene Frontstellung Kubas, durch die weltweite Kapitulation des Sozialismus und das Erbe von 500 Jahren Kolonialismus erzwungene Metamorphose. Die aber wird auf Kuba durch Opportunismus, Intoleranz und Paternalismus vieler Parteifunktionäre unterstützt. Die Gewalttätigkeit zeigt sich an den Opfern und Anstrengungen, die die Bevölkerung Kubas heute schon und in Zukunft noch vermehrt aufbringen muß. Weitverbreitete politische Apathie und Zustimmung bei den jüngsten Wahlen zur Nationalversammlung – und eine ausufernde Hinwendung zu christlichem und synkretistischem Aberglauben sind u.a. die Folgen.

"Eine Wette gegen alle Schemata"

Zwar gibt es auf Kuba, in der PCC und in den Massenorganisationen eine – wenn auch von den "Pragmatikern" sehr in die Defensive gedrängte – Linke. Deren Dilemma ist allerdings die Erkenntnis, daß sie zu dem nun eingeschlagenen Weg in den Kapitalismus keine Alternative anzubieten hat, die geeignet wäre, die Krise kollektiv zu lösen. So bleibt auch den kubanischen Revolutionärinnen und Revolutionären nur die Hoffnung, daß im Zuge der Umgestaltung wenigstens die sozialen Errungenschaften des Landes im Kern erhalten bleiben. Eine Hoffnung, die immer noch stark mit dem weiteren Verbleiben Fidel Castros – dessen positives Image aber schon angekratzt ist – an den Schalthebeln der politischen Macht verbunden ist.

Diese kubanischen Linken, deren militanter Internationalismus Kubas Beispiel in der Dritten Welt geprägt hat haben Anspruch auf politische Solidarität, weil sie in Bedrängnis sind, weil ihre Politik in der Vergangenheit aus dem "revolutionären Prozeß eine Hoffnung für den Kontinent, eine Wette gegen alle Schemata, Determinismen und gegen die imperialistische Arroganz des Aggressors werden ließ", wie der kubanische Journalist Eduardo Lopez Morales geschrieben hat.

Deutsche aber, die unter dem Slogan "bedingungslose Solidarität" Kuba-orientierten Ersatzpatriotismus predigen und einfordern, sind genauso opportunistisch wie jene, die seit Jahren mit der Forderung nach "kritischer Solidarität" ihren Eurozentrismus offenbaren. Beide Gruppen treibt die tiefe Sehnsucht nach einem Vaterland. Irgendwann, wenn dieses Gefühl ein bißchen zu oft exotisch frustriert worden ist, wird Deutschland ihnen naheliegender erscheinen.

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CUBA LIBRE 3-1993