Kuba - Kulturberichterstattung

an das Kultursministerium des Landes Schleswig-Holstein

… schnell Nebensächliches zur Einleitung: Künstler brauchen Ausstellungen, wie Schornsteinfeger Schornsteine, beides ist für beide Existenzgrundlage. Hierzulande kennt man aber in breiten Kreisen meine Bilder, meine Ausstellungen. Wer dieselben nicht kennt, will sie meistens gar nicht kennenlernen. Stelle ich mal in Galerien oder Museen Neues vor, so ändert sich wenig: Die Ablehner lehnen weiterhin ab, die Ignoranten ignorieren weiter und die Befürworter klopfen mir weiterhin auf die Schultern. Hie und da vielleicht ein Skandälchen, doch Erkenntnisse zu meiner Arbeit bekomme ich dadurch kaum. Auch wenn ich bei der Arbeit an einem Bild, mit gerade diesem die Welt aus den Angeln heben will, so kenne ich ja schon insgeheim die genannten Reaktionen von Jurys, Kritikern, und Museumsdirektoren. Ich will sagen, wie wichtig für mich (und wohl auch für die meisten meiner Kollegen) die Konfrontation mit völlig neuem ,unvoreingenommenem Publikum in anderen Kulturbereichen ist. Oder, andersherum ,warum sehen wir uns wohl japanische Holzschnitte, indianische Ornamente oder chinesisches Theater an?

Der Bericht gäbe sicherlich einen spannenden Reiseroman her, besonders die – unfreiwillige – Bahnrückreise, am Wochenende, ohne Visa, von Prag nach Ost- und schließlich Westberlin. Doch andererseits würde auch eine zu euphorische Kuba-Berichterstattung die Kugelschreiber zahlreicher Verfassungsschützer aufblitzen lassen.

Nun kam da die Einladung nach Kuba, mit meiner Grafik und mir selbst: "Realistische Grafik aus der BRD" in der Galerie Provincial de Artes Plasticas, Havanna.

Wie unbedarft ich mich jedoch auf diese Geschichte einließ, zeigen im Nachhinein meine eigenen, dämlichen Fragen u.a. nach Impfungen und Fotografiererlaubnis.

Ich war also Gast des Kubanischen Kulturministeriums, wie ein Teil unserer Delegation, der andere Teil war Gast des Kubanischen Instituts für Völkerfreundschaft. Wir alle hatten völlige Freiheit, konnten uns zu jedem Zeitpunkt an jeglichen gesetzlichen Ort bewegen. Wir konnten uns mit allen Leuten, die des Weges kamen, ungezwungen unterhalten, meistens wurden sowieso wir angesprochen (meine Haarfarbe hat sich jedenfalls außerordentlich als kommunikativer Anlaß bewährt!). Für Eingeweihte mögen einige Feststellungen lächerlich klingen, doch beantworten diese, die meisten mir hierzulande gestellten Fragen.

ICAP (jenes Institut für Völkerfreundschaft) stellte uns für unseren Aufenthalt einen Kleinbus samt Fahrer für anfallende Fahrten zur Verfügung, welcher uns darüber hinaus noch dahin brachte, wohin wir wollten, und wenn es 150 km Fahrt waren. Ein Teil der ursprünglich 10-köpfigen Delegation hatte, nach meiner Abreise, noch die Möglichkeit, sich ca. 10 Tage frei im Land zu bewegen.

Ich möchte hier einige Beobachtungen anschließen, vielleicht am Beispiel Italien, wo ich u.a. zwei längere Stipendien verbrachte (keineswegs ein all zu weit hergeholter Vergleich, die Kubaner gelten als die "Italiener" Lateinamerikas).

Ich habe keine Slums auf Kuba gesehen (Reichtum allerdings nur im Botschaftsrevier). Um Slums zu betrachten ,braucht man in Rom oder anderen italienischen Städten nicht mal zur Peripherie zu fahren. Von Vergleichen mit lateinamerikanischen Ländern ganz zu schweigen! Ich habe keine Bettler, himmelschreiende Armut, herumstreunende Kinderhorden, Trickdiebe & Co und – nach meiner Einschätzung – auch im abenteuerlichsten Hafenviertel nur einmal Prostitution gesehen. Vergleiche mit Italien ,das ich liebe, möchte ich mir diesbezüglich sparen. Jedenfalls legte sich meine Italien-Psychose: mit zwei Händen auf drei Sachen aufpassen zu müssen (Geld, Paß, Foto), nach wenigen Tagen.

Weitere Vergleiche: Kubaner sind – wie Italiener – gut gekleidet, darauf wird anscheinend großen Wert gelegt (dabei gibt es Kleidung – wie alles Lebensnotwendige – auf Bezugsscheine!). Die Kubaner sind "körperbewußt" und sehen, alt wie jung, weiß oder farbig, durchweg recht passabel aus. Die Kubanerin geht nach der Eheschließung weniger oft aus dem Leim wie etwa die Italienerin. Nordamerikaner und Europäer (meist Deutsche und Russen) sind so auf Kuba, schon staturgemäß, leicht auszumachen (besonders taillenmäßig). Noch ein Unterschied, zwar herrscht in den Straßen Havannas keine hanseatische Ordnung oder Schweizer Sauberkeit, doch sind die – selben – wieder ein Vergleich zu Rom – von Vandalismus frei, ebenfalls von herumfliegenden Plastiktüten und Zeitungen, herumrollenden Getränke- und sonstigen Dosen oder Flaschen. Der Verkehr ist weniger dicht (und statt Kleinwagen fahren hier die uralten U.S. Straßenkreuzer, dazu Limousinen und Geländewagen, meist russischen Ursprungs).Das ganze aber genauso chaotisch wie in Italien (schade, daß man hier nicht selber fahren darf).

Und jetzt eine für mich bemerkenswerte Begebenheit: der weißhaarige, rüstige Alte, welcher mich zwischen zwei Strassenkreuzungen ansprach, fragte mich, nachdem er sich nach meiner Nationalität erkundigte (und als Deutscher erfährt man ungewohnte Sympathien): "Wie gefällt Dir mein Land"?Dies war kein Einzelfall: Ich bin bisher viel herumgekommen, doch eine solche Identität mit einem Land war mir neu! Die Leute sind selbstbewußt – ich habe bisher jedenfalls Deutschland nicht als mein Eigentum betrachtet.

Wenn ich Glück definiere mit: keinen Hunger und möglichst viele positive Regungen zu haben und diese Regungen möglichst ungehemmt tun zu können (zu dürfen), genügend Fähigkeit, Bildung und Mut zu besitzen, sich anderen mitzuteilen und das gewisse Gefühl von Geborgenheit – nicht gänzlich durchfallen zu können, dann gibt es auf Kuba erheblich mehr glückliche Menschen als in Europa (Ost wie West), Dänemark vielleicht ausgenommen und mit Abstrichen, besonders des ersten und letzten Punktes, Italien oder Irland.

Man lud uns ins Nationaltheater ein. Auf der Bühne fand das statt, was man als ursprüngliche Folklore bezeichnet – und die Ursprünge Kubas sind meist afrikanisch. Perfekte Choreografie, nach unseren Begriffen oft fast peinliche Effekte – auf keinen Fall jedenfalls das erwartete "Revolutionstheater"! Doch Entscheidendes fand im Publikum statt, ein Drittel der Zuschauer waren Kinder (die Vorstellung ging bis Mitternacht!), welche begeistert – wie die Eltern – mitmachten, Applaus spendeten, wie hierzulande selten erlebt. Dazu wogten die Köpfe und Rücken der vor uns Sitzenden in afrikanischen und Karibik-Rhythmen, mit einer Hingabe, die uns fremd ist. Das war ihr Theater. Meine Nackenhaare sträuben sich bei dem Gedanken an ein deutsches Nationaltheater mit ursprünglicher, deutscher Folklore!

Ähnliche Eindrücke im Tropicana, die beeindruckendste und wohl kitschigste Supershow in aufwendigstem Nachtclub (unter freiem Himmel), die ich je erlebte. Doch trotz Feder – Busen – Glitzer – Po – Boa – Revue mit "Wawawauuh" Chor und Big-Band – Trötorchester (und packenden Karibik-Macumba Einlagen), die auf-und abgleitenden Podeste, Hollywoodtreppen und bengalischen Dampfbeleuchtungsorgien, die bei ähnlichen Veranstaltungen ernüchternde Verbissenheit oder "Lido-lächel-Perfektion" fehlte – zum Glück.

Es ging hie und da sympathischerweise mal was schief, in Übereinstimmung mit dem Publikum wurde das Ganze nicht völlig ernst genommen. Die Akteure waren halb imPublikum – das Publikum fast auf der Bühne. Cäsars Ideologie "Brot und Spiele" war hier – ohne Sklaven und Christen – verwirklicht! Das ganze für jeden Kubaner für entsprechend DM 5,- (Kaufwertkurs!) völlig erschwinglich inkl. Rum und Verdünnung!

Vielleicht gerade hier – wegen der Glaubwürdigkeit – die negativen Eindrücke: Wie uns schon Mario Rodrigues (Vizepräsident des ICAP) warnend mit auf den Weg gab, alles, was bei uns hier so brutal-richtig unter den Begriff "Dienstleistungen" fällt, funktioniert – gelinde ausgedrückt – leger. Die Bedienungen in Restaurants und dergl. Haben meist jene DDR-Mentalität, mit 2 Kräften 4 Gäste bei 80 leeren Plätzen zu bedienen – um dreißig Gäste draußen warten zu lassen. Ich warte – auch ohne Bedienung – lieber drinnen. Vorgewarnt wurden wir ebenfalls vor den katastrophalen Beförderungsmitteln. Mario Rodriguez: "Mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln haben wir vorrangig die Produktionsstätten geschaffen – für entsprechende Transportmittel langte es dann nicht mehr ganz, andersherum wäre es allerdings dümmer gewesen!" - Recht hat er – und ich kam glücklicherweise mit diesem Problem nicht sonderlich in Berührung. Mir mißfiel allerdings doch der "zweite Markt" mit Westwährung. Wie bei den mir schon bekannten Intershops, werden gerade hier wieder Klassen errichtet, Privilegien aufgebaut. Jeglicher sogenannter und nicht nur sogenannter "Luxus" wird hier für Westdevisen – teuer – angeboten und, leider menschlich, schafft vorher nicht vorhandene Wünsche, Bedürfnisse, Privilegien.

Neben gestampften "Sauerkraut-Hummer" (gibt es wirklich!) habe ich noch Erhebliches an den Bars auszusetzen. Diese sind falls stockdunkel, dieses "fast" hat die Farbe von 'Batida de Coco’ und dementsprechend sehen die Gäste aus.Und – es ist saukalt Die durchaus in Betracht zu ziehende Möglichkeit, da Humphrey Bogart so der Ingrid Bergmanns Bekanntschaft zu machen, verdrängt kaum die Angst, sich eine Lugenentzündung zu holen, und Toupets können auf dieser Insel nicht getragen werden, diese "Höllen-klima-maschinen" blasen oder saugen jedes von der Stirne! Alle anderen Defekte werden von Kubanern anscheinend mit Gelassenheit ertragen, doch wehe, einer dieser Höllenmaschinen fällt aus, zehn Techniker werden mit Blaulicht eingefahren, um das, für wenige Augenblicke erträgliche Klima schleunigst wieder auf arktische Temperaturen zu bringen! Kuba benötigt sicherlich dieselben Energiemengen, um in den Bars für Kälte zu sorgen, wie wir für die Beheizung der selben benötigen.

Ich bin überzeugt, das hier Vorgetragene gehört zur Kultur, und nur der Versuch, mit einer ‘Notrochade’ zur Kunst zu kommen: In einer dieser eiskalten Bars (Gespräche erwärmen )beginnt im allgemeinen dein kubanischer Nachbar das Gespräch. Nach Bekanntgabe von Herkunft und Zweck des Aufenthalts (fast immer spricht der Nachbar eine Fremdsprache, was umso bemerkenswerter ist, wenn man Kubas Analphabetenquote vor ca. 20 Jahren kennt!), geht das Gespräch sofort über in deutsche Gegenwartskunst, Gegenwartsliteratur, das letzte Werk von Grass, Böll, den letzten Fassbinder Film (über welchen ich glücklicherweise wenigstens Rezensionen gelesen habe). Dann – unvermeidlich – die Gegenfrage: was ich denn vom letzten Werk Fuentes, Barnets, Cossios oder Cofinos halte? Es mag Schicksalsfügung sein, aber wenigstens die Rede Fuentes an die Bürger der Vereinigten Staaten (1961) habe ich mal gelesen, sonst wäre es für mich zu peinlich geworden. Schlichte Erklärung für kubanische Literaturkenntnisse: dieselbe gibt es, anstatt der "Silber-", "Gondel"-, "Heimat"- oder "Ärzteromane" zu Dumpingpreisen in jeder Buchhandlung.

Nochmal brutaler Schnitt zur Ausstellung – ich zitiere den Text der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba, gedacht als Information an die teilnehmenden Künstler:

"Die Ausstellung ‘Realistische Grafik aus der Bundesrepublik Deutschland in Havanna, Kuba’ wird bis Mitte Oktober in der "Galeria Provincial de Artes Plastica", Oficios 362, La Habana, Cuba, gezeigt, Eröffnet wurde sie am 2. September in Anwesenheit von ca. 300 geladenen Gästen aus dem kubanischen Kulturleben und diplomatischen Vertretungen verschiedener Länder. Bei der Ausstellungseröffnung sprachen von Seiten des kubanischen Kultusministeriums Dr. Antonio Nunez Jimenez, Vizeminister, der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Havanna, Dr. Armin Freitag, und der stellvertretende Vorsitzende der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba e.V., Klaus Thüsing, MdB. Von Seiten der Künstler der BRD waren Prof. Erhard Göttlicher, Hamburg, Thomas Jensch, Frankfurt, Hanja Rau, Frankfurt, vertreten, ebenso die Verleger des Katalogs, Norbert Haun und Ottmar Hitzelberger.

Die Ausstellung fand in Kuba großes Interesse. Dies zeigt sich bereits bei der Pressekonferenz am Vortag der Vernissage, bei der stark besuchten Eröffnungsveranstaltung, bei der Begegnung und der Diskussion mit kubanischen Künstlern und Vertretern des Kultusministeriums, in der kubanischen Presse und nun, wie wir nur von Ferne beobachten können, in einem regen Besuch der Ausstellung durch die kubanische Bevölkerung.

Wir möchten Ihnen versichern, daß das Interesse an Ihren Werken in Kuba sehr groß ist, daß man zukünftig ähnliche Ausstellungen organisieren will,und daß man einen Dialog zwischen kubanischen Künstlern und bundesrepublikanischen Kollegen fördern will. Für die Delegation aus der BRD wurde von Seiten unserer Botschaft ein Empfang gegeben, das Kultusministerium lud zu einem Abendessen ein, das ICAP (Kubanisches Institut für Völkerfreundschaft) gab einen Empfang, es wurden außerdem Zusammentreffen mit kubanischen Künstlern organisiert, sowohl in der Galerie wie in den Werkstätten der kubanischen Kollegen.

Wir sind der Ansicht, daß mit dieser Ausstellung ein Beitrag zur Verständigung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kuba geleistet wurde und ein ganz entscheidender Schritt in Richtung auf einen zu künftigen regen Kulturaustausch zwischen beiden Ländern."


Was habe ich mir eigentlich vor meiner Reise unter kubanischer Kunst vorgestellt? Daß es dort eine hervorragende Plakatkunst gab, war mir bekannt, wußte ich aus zahlreichen Biennalekatalogen und dergl. Ansonsten stellte ich mir so was wie ‘anklagenden DDR-Realismus’ etwa der 50er und 60er Jahre vor. (Willi Sitte und einige andere natürlich ausgenommen! )Doch nach Künstlergesprächen, dem Druckereibesuch, dem Betrachten der Bilder, welche vorher in besagter Galerie hingen und spätestens nach einer informativen Dia-Show im Kultusministerium konnte ich alles im Kopf Gehabte streichen!

Auf qualitativ gleichwertigem, hohem Niveau gibt es viele parallele Tendenzen zur europäischen oder in einigen Fällen auch US-Kunst. Fotorealisten, entsprechend etwa Chuck Close, Landschaftsrealisten wie etwa Redecker, Schröder-Vorm etc.. Ich sah sensible, exotische Landschaftsbilder, welche auch von der Hand des Malte Satorius sein könnten, völlig andere "naive Phantasten", meist aus dem afrikanischen Raum inspiriert. Vieles erinnerte an Arik Brauer; Schröder-Sonnenstern, manchmal an Hundertwasser (zu seinen guten Zeiten). Ich sah "Spuren-sicherer" (der Begriff war unbekannt, wurde aber als zutreffend aufgenommen), es gibt etwa zu Hella Berent ein kubanisches Gegenstück. Mit wissenschaftlichen Symbolen verfremdete Landschaften sah ich, entsprechend vielleicht Nöfer, Sowak oder Peter Berend (nicht wegen der Namensgleichheit). Mathematische Kunst-Zahlenreihen wie bei Hanne Darboven o.a.. Schließlich ähnliche Tendenzen wie derzeit hierzulande: Realisten, welche sich vom Realismus langsam entfernen (was mich selbst gerade bewegt), welche wie der eigene Handschriften erkennen – gelten lassen, expressiv werden, bei denen Farbe auch mal wieder laufen darf, wo auch mal der Zufall mit hinkleckert. Ja, ich sah einen kubanischen Jim Dine, auch sowas wie "Die neuen Wilden". Bei allen Vergleichen bin ich dessen sicher, in keinem Fall dürfte es sich in irgendeiner Form um sowas wie ‘Nachahmung’ handeln, auch die Entwicklung sah man an den Diareihen!

Ich hatte vor Ort spontan geäußert, daß völlig unabhängig voneinander arbeitende Künstler, welche zu vergleichbaren Ergebnissen kommen, eigentlich einmal zusammengeführt werden müssen!

Eine besondere Einladung war auch der Besuch einer Druckwerkstatt für Originalgrafik (Lithographie, Radierung und Holzschnitt). Diese Werkstatt lag an sich schon traumhaft, an einem Platz in Havannas Altstadt, umgeben von den unveränderten Prunkgebäuden der Kolonialzeit (man versucht an vielen Stellen in Havanna wieder den Originalzustand herzustellen ,beseitigt z.B. ½ m dicke Straßenbeläge, um das Pflaster aus dem 16. Jahrhundert freizulegen!) Auf genanntem Platz entsteht gerade ein historischer Film (um ca. 1850) und der gesamte Marktplatz samt Marktvolk läuft hinter einer Absperrung der Einfachheit halber seit Wochen in den Originalkostümen herum. Neger-Lausbuben flitzen im Lendenschutz durch die Druckerei, zu der ich jetzt wieder kommen will.

Also, in der Druckerei hat man den kompletten Maschinenbestand wieder zusammengetragen, welcher bis vor nicht allzulanger Zeit zum Druck der kostbaren Zigarrenbinden und Etiketten der Zigarrenkisten verwendet wurde. Diese Druckerei wird vom Staat unterhalten, und, was hier schon ähnliche Projekte zum Scheitern brachte: hier ist ein Druckereileiter mit dem Druckerteam verantwortlich! Alle an Kunstschulen auszubildenden Maler und Grafiker müssen sich hier auch ein Jahr zum Drucker ausbilden lassen (was auch einigen deutschen Kollegen nicht geschadet hätte), später werden die Auflagen kostenlos zusammen mit dem Künstler gedruckt, der Staat behält als Gegenleistung 3 Drucke für Ausstellungen, Museen und Repräsentation, die restlichen Drucke gehören dem Künstler. So besitzt die Stadt von jedem seiner Künstler das komplette Druckoeuvre. Ein bestimmt zu überdenkendes Modell.

Überhaupt, das hat sich bei den Künstlergesprächen herauskristallisiert, es existiert zwar ein Kunsthandel – wie auch auf anderen Gebieten ein Hersteller/Verbraucher-Handel, etwa mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, durchaus existiert. Doch die Künstler werden vom Staat gefördert, leben vom Staat und dieser repräsentiert als Gegenleistung mit ihrer Kunst.

Hier stand ich bei der Schilderung unserer Verhältnisse, mit den von der Bundesregierung ermittelten Zahlen - nur 2% unserer Künstler können ja ausschließlich von ihrer Kunst leben ,nur 0,2% auf Durchschnittsbürgerniveau – ziemlich traurig da. Meine Beschwichtigungen über gerade in Angriff genommene Veränderungen hierzulande, Arbeitsstipendien, Atelierunterstützungen, Werkstipendien halfen wenig – solches scheint dort längst üblich zu sein.

Nachteiliges, Negatives in der kubanischen Kunst? Zensur? Ich sah – vielleicht etwas zu demonstrativ – im Kultusministerium auch durchaus kritische Auseinandersetzungen mit dem Staat, die entsprechende gesetzliche Formulierung lautet sinngemäß: Die Kunst ist frei, es sei denn, es wird bewußt gegen die Revolution gearbeitet! Kritik und Satire sind erlaubt.

Nachteilig sind doch wohl die verhältnismäßig beschränkten Publikationsmöglichkeiten und das wohl größte Problem – die Materialbeschaffung. Zeichen- und Druckpapiere, sowie Farben und Druckfarben, die besten Fabrikate kommen aus Frankreich und England, sind schon für mich sündhaft teuer – für Kubaner schlicht unbezahlbar. So werden Druckauflagen nicht von den technischen Möglichkeiten bestimmt, sondern von der vorhandenen Papiermenge.

Zwischen der BRD und Kuba gibt es kein Kulturabkommen,was ich bedauernswert finde. Ich habe auf dieser "Missionsreise" entscheidende Eindrücke gewonnen, meine falschen Vorstellungen korrigiert (vielleicht auch auf kubanischer Seite korrigieren geholfen), und kreative Anstöße mit in mein heimisches Atelier gebracht, so daß sich für mich schon deshalb das Reisestipendium gelohnt hat. Ich wurde auf Kuba überall, ob offiziell oder inoffiziell, ausgesprochen freundlich aufgenommen (bis auf besagte Bedienungen!) und bin überzeugt, daß für eine große Anzahl bundesdeutscher Künstler ein solcher Aufenthalt fruchtbar wäre. Genauso fruchtbar wäre es sicherlich für beide Seiten, auch kubanische Künstler in unserem Land als Gäste beherbergen zu dürfen. Unser Nachbar Österreich reagierte diesbezüglich schneller, der Direktor des Grazer Schauspielhauses bat mich unmittelbar nach meiner Rückkehr, für Uraufführungen in seinem Hause, Kontakte mit kubanischen Autoren herzustellen dies ist schon geschehen, und so werden zum nächsten "Steirischen Herbst" vielleicht schon Autoren wie Carlos Fuentes in deutscher Sprache aufgeführt.

Nach gerade erfahrener kubanischer Gastfreundschaft, wieder auf dem Boden deutscher Tatsachen, kam mir einer der ersten Zeitungsartikel vor die Augen: "Bonn finanziert DKP-Ausstellung in Kuba." So stand es in der Kölnischen Rundschau. Ich bin kein Kommunist und alleine die tschechisch-DDRschen Schikanen bei bereits erwähnter Zugrückreise, werden mich auf geraume Zeit an einer Änderung genannter Tatsache hindern! Von den ausstellenden Künstlern weiß ich, daß nur einige wenige Mitglieder der DKP sind, und davon einige schon verstorben, und wenn schon – auch Picasso war Kommunist! Hauptsache die Qualität der Ausstellung war überzeugend – und das war sie! Schließlich wurde die Ausstellung von zwei namhaften Kunsthistorikern zusammengestellt, einer wurde vom Auswärtigen Amt ernannt, der andere von der Freundschaftsgesellschaft, und natürlich wäre solch eine Ausstellung auch mit einigen anderen Namen zusammenzustellen gewesen, doch mit dem Großteil der Ausstellenden habe ich auch schon an anderen Orten den BRD-Realismus offiziell vertreten.

Die Zusammensetzung der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba ist mir nicht bekannt, immerhin weiß ich, daß der stellvertretende Vorsitzende und Sprecher der Freundschaftsgesellschaft, Klaus Thüsing, Mitglied des Bundestages ist.

Der Deutschen Botschaft in Kuba hat diese Ausstellung sicherlich sehr geholfen, und selbst wenn es vielleicht nur um den Abbau von Vorurteilen ging, so haben beide Seiten profitiert! - Hier handelte es sich um Kunst und um nichts anderes!

Politik ist machbar (das hat die Geschichte laufend gezeigt); Kultur kann man (und sollte man) nur ermöglichen! Dieser Satz ist ausnahmsweise wirklich von mir.

Ich danke dem Schleswig-Holsteinischen Kulturministerium für das erhaltene Reisestipendium.

CUBA LIBRE
Prof. Erhard Göttlicher

CUBA LIBRE 3-1981, Extraausgabe