DAS EXIL

Die überraschend schnell getroffenen Vereinbarungen zwischen der kubanischen Regierung und den Exilkubanern in Miami und anderswo müssen Jeden verwirren, für den die Exilkubaner der Inbegriff der antikommunistischen Borniertheit, des konterrevolutionären Terrors - eben gusanos (Würmer, Raupen) waren.

Verhandelt die Revolution aus opportunistischen Gründen mit Leuten, die seit dem Sieg der Revolution nicht müde wurden, ihre Greuelpropaganda vom "roten Terror" auf Kuba zu verbreiten, die Terrorkommandos unterstützten oder persönlich daran teilnahmen? Oder haben sich die gefräßigen Raupen über Nacht verpuppt und in harmlose Schmetterlinge verwandelt?

DER NORDEN

Daß jemand Kuba verließ und in die USA ging, war vor der Revolution nichts besonderes. Es mußten nicht einmal politische Gründe sein, die die Emigration motivierten. Für Kubaner, die es sich leisten konnten, war ein längerer USA-Aufenthalt ohnehin eine Frage des sozialen Prestiges und für viele andere verband sich die Auswanderung mit der Hoffnung auf Arbeit, auf ein besseres Einkommen, auf sozialen Aufstieg. Die USA, das war Fortschritt, Reichtum, Kultur. So ging man eben "in den Norden".

Mit der siegreichen Revolution änderte sich das. Wer nun ging, war eben ein gusano. Wer ging, bezog Stellung: gegen die Revolution. Aber für die kubanische Bourgeoisie, die als erste ihre Koffer packte, war es keine Reise ohne Wiederkehr, Die Revolution war über sie hereingebrochen wie ein tropisches Sommergewitter und man zog sich eben nur vorübergehend ins Trockene zurück bis der Spuk vorüber sein würde. Die grenzenlose Begriffslosigkeit dieser ersten Auswandererwelle gegenüber dem, was in Kuba wirklich geschah, ist einer der Hauptgründe für die wütenden Tiraden und abenteuerlichen Kommandounternehmen gegen die Revolution, die von diesem reaktionärsten und traditionell antikommunistischen Teil der kubanischen Gesellschaft ausgingen und finanziert wurden.

MIAMI

Miami ist nicht das Exil, aber ohne Miami ist das Exil nicht zu verstehen. In Miami leben heute über 350.000 Kubaner. Hier, vor allem in "Klein Havanna" entlang der 8, Straße, befindet sich das Zentrum des Exils. In Miami entstanden Anfang der 60er Jahre die militantesten konterrevolutionären Gruppen; von hier aus starteten sie in Privatyachten zu Überfällen auf kubanische Fischer oder Sabotageunternehmen auf der Insel. Hier rekrutierte die CIA über ihre Tarnfirma Zenith Technological Services ihr Agenten und einen Großteil der "Brigade 2506" – die Teilnehmer an der Invasion in der "Schweinebucht" (April 61). Als nach dem Scheitern des Invasionsversuchs der Traum von einer schnellen Rückkehr nach Kuba erste Risse zeigte, veränderte sich auch das Exil.

DAS GOLDENE EXIL

Die erste Auswandererwelle hatte vor allem diejenigen umfaßt, die von der Revolution als Erste betroffen waren: die Bourgeoisie und die am engsten mit der Diktatur liierten Sektoren. Ab 1961 verlassen in zunehmendem Maße Teile der Kleinbourgeoisie (Ärzte, Rechtsanwälte, Techniker, Kleinunternehmer, Händler etc.) die Insel. Wer bleibt, bekommt Post aus Miami: ein Photo vom eigenen Haus (eines Freundes), der Onkel vorm neuen (geliehenen) Auto; und so gingen auch viele, die weder besonders für noch besonders gegen die Revolution waren und deshalb umso anfälliger für die Versprechungen aus dem goldenen Norden und die antikommunistische Greuelpropaganda.

DIE KINDER

Mit den Familien gingen die Kinder. Aber viele Kinder wurden auch allein auf die Reise geschickt. Der Grund war ein Anfang 1962 erlassenes neues Erziehungsgesetz, das die reaktionärsten Teile des Klerus zum Anlaß nahmen, die Eltern zu verunsichern: ihnen würde nun die elterliche Gewalt über die Kinder entzogen und diese würden zur kommunistischen Indoktrination nach Rußland geschickt. Die Zahl der daraufhin allein zu Verwandten oder in die "Obhut" nordamerikanischer Ordensschwestern geschickten Kinder ging in die Tausende. Für sie "war es genauso, als wenn sie uns nach Rußland oder Patagonien geschickt hätten."

EINMAL CAMARIOCA UND ZURÜCK

Die meisten Emigranten verließen Kuba in den Jahren zwischen 1960 und 1962, obwohl die Auswanderung niemals ganz gestoppt wurde. Im Oktober 1965 kam es durch das überraschende Angebot der kubanischen Regierung an die Exilkubaner, man würde den - Miami am nächsten gelegenen - Hafen von Camarioca öffnen, damit sie ihre Verwandten abholen könnten, die Kuba verlassen wollten, zu einer neuen Auswanderungswelle. Innerhalb kürzester Zeit wimmelte es in Camarioca von Booten und Yachten aller Größe. 3.000 Kubaner verließen die Insel; das Unternehmen wurde jedoch gestoppt, nachdem eines der Boote mit 30 Insassen untergegangen war. Einen Monat später, im November 1965 kam es dann zu einem Auswanderungsabkommen mit den USA und zur Errichtung einer Luftbrücke, Als Maximalquote schlug die kubanische Regierung eine Zahl von 4.000 Emigranten monatlich vor. Zu dieser Zeit hatten die USA schon längst kein Interesse mehr an den kubanischen Auswanderern, die vor allem den wirtschaftlichen Schwierigkeiten auf der Insel entkommen oder einfach zu ihren Verwandten wollten. Als "politische Flüchtlinge" konnte man sie jedenfalls kaum noch herumreichen.

DIE ANGST

Miami gehört zu den teuersten Städten in den USA und ist gleichzeitig eine der Städte mit dem geringsten Durchschnittseinkommen. Viele Kubaner könnten ohne Unterstützung durch die staatliche Wohlfahrt nicht überleben. Das Leben im Exil versucht mühsam, das verlorene Leben in La Habana - "die kubanische Kultur" - zu kopieren. Das Leben in La Habana, "die kubanische Kultur", war aber vor der Revolution Schon ein Zerrbild, ein kitschiges Klischee, eine naive Kopie, ohne Identität und mit der Feindschaft zur Revolution als einzige Gemeinsamkeit.

Aber für die weißen US-Amerikaner im rassistischen Süden sind die Exilkubaner auch nur "latinos" - nicht besser als die mexikanischen "chicanos", die Puertorikaner oder die Schwarzen. So zerbrach nicht nur der Traum von einer Rückkehr nach Kuba, sondern auch der von Erfolg und Geld, von einer Integration in die USA, Es sind nur noch die militantesten und reaktionärsten Sektoren des Exils, die dafür sorgen, daß sich nichts ändert: "Der schlimmste Einfluß im Exil ist der der Terroristen, die den größten Teil der Kubaner in Angst und Schrecken halten und verhindern, daß sie ihre wirklichen Gefühle im Hinblick auf die kubanische Situation zum Ausdruck bringen. Ich glaube, daß die große Mehrheit dieser Kubaner wünscht, daß endlich die Beziehungen zwischen Kuba und den USA wiederhergestellt werden, und daß sie nach Kuba gehen können und sei es nur zu Besuch.Das sagen sie natürlich nicht öffentlich, alle haben Angst vor der Bombe, oder daß man sie in einer dieser hier erscheinenden Gazetten als Kommunisten bezeichnet. Aber man merkt es daran, wie sie dieses Thema angehen und manchmal sagen sie es sogar insgeheim."

DER TERROR

1975 explodierten in Miami über 50 Bomben, 1976 nicht viel weniger. Einige Führer konterrevolutionärer Gruppen wurden ermordet, z.B. Jose Elias de la Torriente, der jahrelang Geld gesammelt hatte, um "Kuba zu befreien", und den Plan aufgab, als er genug zusammen hatte. Im April 1974 fand man ihn erschossen auf.

Anfang der 60er Jahre investierte die CIA Millionenbeträge in antikubanische Aktionen. Unzählige Exilkubaner wurden von der CIA bezahlt. Sie erhielten einen regulären Monatslohn. Die Konterrevolution wurde neben dem Spiel und dem Rauschgifthandel zu einem einträglichen Geschäft im Exil. So entstand eine enge Verflechtung zwischen dem vorgeblichen höheren Ziel - "Kuba zu befreien" - und ganz spezifischen ökonomischen und Machtinteressen, Hier konnten diejenigen, die früher direkt von der CIA finanziert wurden, das einzige, was sie gelernt hatten, weiter verwenden: den Terror.

"Vielleicht hatte er einmal politische Hintergründe, aber heute gilt das nicht mehr, Dieser Terrorismus ist angesichts der stabilisierten Revolution zu einem ohnmächtigen Gestrampel geworden. Und da sie kaum den Mut haben, ihn gegen Kuba zu wenden, richten sie ihn gegen alles, was ihnen nicht gefällt oder gewissen Gruppen mit ganz spezifischen Interessen im Exil nicht paßt."

Die politischen Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichen konterrevolutionären Gruppen, die in den meisten Fällen gewaltsam ausgetragen werden, sind nur noch ein Vorwand. In Wirklichkeit geht es ihnen um lokale Macht, um die Kontrolle des illegalen Spiels oder des einträglichen Rauschgifthandels.

DIE JUGEND

Für diejenigen, die als Kinder zusammen mit ihren Familien oder allein in die USA kamen, bedeutete das Exil einen kulturellen Schock und ein Trauma. Vor allem dann, wenn sie nicht nach Miami oder eine andere Stadt mit einem hohen Anteil spanischsprachiger Bevölkerung kamen. Ihre Reaktion auf die USA, vor allem auf den für die meisten von ihnen völlig fremden Rassismus, war sehr unterschiedlich - an erster Stelle stand der Versuch, sich vollkommen an die Subkultur der amerikanischen Jugend anzupassen und so schnell wie möglich Englisch zu lernen. Da die meisten von ihnen aus weißen Bevölkerungsschichten Kubas kamen, war ihnen der Rassismus, der ihnen entgegengebracht wurde, umso unverständlicher, obwohl (oder gerade weil) die weissen Kubaner selber sich den Farbigen überlegen fühlten und nicht frei von rassistischen Ressentiments waren.

"Der Druck, der in den Vereinigten Staaten auf einen ausgeübt wird, damit man sich der herrschenden Kultur unterwirft und seine eigene Kultur und Nationalität verleugnet, ist enorm. Alles Fremde oder Andere ist per Definition weniger wert. Während meiner Schulzeit machte ich die Erfahrung einer sehr starken Zurückweisung meiner "cubania" durch meine nordamerikanischen Freunde. Ich ging durch eine Phase, in der ich meine Kultur verleugnete und mich schämte, Kubaner zu sein. Ich änderte sogar meinen Namen in das englische äquivalent, um mich als Amerikaner auszugeben. Ich vermied es, daß meine Freunde mich Zuhause besuchten, da ich mich schämte, daß meine Eltern Englisch mit Akzent sprachen. Aber keine Anstrengung war ausreichend und meine Herkunft war immer ein Anlaß für Spässe, sogar für meine engsten Freunde." Der psychische und soziale Streß, dem diese Kinder und Jugendlichen ausgesetzt waren, führte bei vielen zum Zusammenbruch ihrer Identität, ohne daß ihnen die Möglichkeit gegeben wurde, sich durch die Integration in die amerikanische Gesellschaft ein neues Selbstverständnis aufzubauen, Obwohl sie sich nicht als nationale Minderheit - wie z.B. die Puertorikaner – verstanden, war ihre Lage objektiv nicht anders. Dabei blockierte ihr Bewußtsein - vor allem auch die Tatsache, daß ihre ablehnende Haltung gegenüber der Revolution sich nicht änderte – die Möglichkeit der Einsicht ihrer Situation, Die meisten von ihnen hatten den Antikommunismus ihrer Eltern (und der amerikanischen Gesellschaft) so sehr verinnerlicht, daß die Revolution nicht einmal ein Medium der Identitätsfindung werden konnte, in dem sie ihre eigenen Erfahrungen in den USA reflektieren konnten. Für viele war die Alternative zum verzweifelten Kampf um die "Amerikanisierung" nur Alkohol, Rauschgift und Kriminalität.

AREITO

Bei vielen aber setzten die eigenen Erfahrungen auch einen Prozeß in Gang, der über die Identifikation mit den amerikanischen Negern, mit den "Chicanos" in Kalifornien oder den Puertorikanern in New York nach und nach zu einer politischen Bewußtseinsbildung führte, an dessen Ende bei einigen der Wunsch nach einer Integration in die kubanische Revolution steht.

desillusionierende Erfahrung der nordamerikanischen Realität, besonders durch den Rassismus und die Intoleranz gegenüber jeder Minderheit, und zum Anderen durch die politische Bewegung, die gegen Ende der sechziger Jahre an den amerikanischen Universitäten entstanden, vor allem die Anti-Vietnam-Bewegung oder die Protestmärsche der Farbigen unter Martin Luther King.

Eine wichtige Erfahrung davor, in erster Linie für die, die aus Familien kamen, die die Revolution anfänglich unterstützten, war auch die Intervention der USA in Santo Domingo, 1965. Sie hatten in der Regierung Juan Boschs, die durch die Intervention verhindert worden war, eine demokratische Alternative zum Kommunismus in Kuba gesehen.

Schon 1967 entstand ein loser Verband exilkubanischer Jugendlicher, der zwar gegen die Revolution war, aus dem sich jedoch die erste Gruppe löste, die sich ernsthaft und positiv mit der Revolution auseinandersetzte. Im Dezember 1970 gründete sich in Miami die Juventud Cubana Socialista (Sozialistische Kubanische Jugend), die ohne Rücksicht auf die politischen Realitäten für eine schnelle Rückkehr nach Kuba plädierte. Ende der 60er Jahre gab es in Miami auch eine Zeitschrift - Nueva Generacion - die sich für einen Dialog mit der Revolution und für eine objektive Darstellung der kubanischen Wirklichkeit einsetzte.

1971 wurde das Instituto de Estudios Cubanos gegründet, das überwiegend von liberalen Amerikanern betrieben wurde, mit dem aber auch exilkubanische Sympathisanten mit der Revolution zusammenarbeiteten. 1974 erschienen dann zwei Zeitschriften, von denen die eine, Joven Cuba (Junges Kuba) nur bis 1976 überlebte,

Die andere, AREITO, wurde zum wichtigsten Sprachrohr der prokubanischen Exiljugend.

Ende 1976 fuhr die erste Gruppe exilkubanischer Jugendlicher, die Brigada Antonio Maceo nach Kuba und gab damit wohl den wichtigsten Anstoß für die Aufnahme des Dialogs zwischen Revolution und Exil.

Zitate und Daten aus: Gruppe Areito: Contra Viento Y Marea La Habana 1978

J. Knoop

Freundschaftsgesellschaft BRD-Cuba, Informationsdienst Nr. 12 / 2-1979